010 LP / Johann Sebastian Bach: Partitas for Solo Violin
Johann Sebastian Bach
Partitas for Solo Violin
Florin Paul, Violine
EAN/barcode: 4009850001010
Beschreibung
Eine der frühesten Aufnahmen aus dem TACET-Programm, seinerzeit wegen ihrem vollen Geigenklang überall auf der Welt, aber vor allem in Japan berühmt geworden, erscheint nun auf 180g-LP.
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The Audio Beat –
Bachs Sonaten und Partiten für Violine solo (jeweils drei) gehören zu den wahren Monumenten des klassischen Repertoires. Teilweise Übungsstücke, teilweise musikalische Erkundungen, wurden sie 1703 begonnen, 1720 vollendet, aber erst 1802 veröffentlicht. Selbst dann wurden sie weitgehend ignoriert, bis Joseph Joachim sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgriff und förderte. Trotz dieses langsamen Starts gelten sie heute als prototypische Stationen der klassischen Entwicklung und als wichtiger Test für die Technik jedes Geigers. Dieser Status bedeutet, dass es keineswegs an Aufnahmen mangelt: Die meisten großen Geiger haben sich daran versucht. Man kann aus Aufnahmen von Perlman, Podger, Grumiaux, Szeryng, Milstein und zahlreichen weiteren wählen. In den Second-Hand-Kisten lohnt sich ein Blick auf Shumsky, und Testament bot die komplette Reihe auf drei LPs von Ida Haendel an – leider mittlerweile nur noch auf CD verfügbar.
Bei der Vielzahl an Optionen könnte man sich fragen, warum wir noch eine weitere Aufnahme brauchen – zumal eine, die bereits 23 Jahre alt ist. Die Antwort liegt im Aufnahmeansatz und im Charakter des aufgenommenen Werks. Tacet produziert seine Aufnahmen, selbst heute, über eine komplett röhrenbasierte Kette – vom Mikrofon bis zum Analogbandgerät. Diese Aufnahme entstand mit zwei Vintage-Neumann-U47-Mikrofonen und fängt den Virtuosen Florin Paul zu Beginn seiner beeindruckenden Karriere ein. Kleinere Werke eignen sich besonders für diese minimalistische Mikrofonierung, und eine Solo-Violine ist kaum kleiner im Maßstab. Doch gerade die Kombination dieser beweglichen musikalischen Stimme mit einer Komposition von solcher Resonanz und emotionaler Breite erzeugt die dauerhafte Faszination dieser Stücke. Die sechs Werke, die das Ganze bilden, weisen viele Gemeinsamkeiten auf, unterscheiden sich jedoch so stark, dass der Spielraum für individuelle Interpretation nahezu unbegrenzt ist. Die Schönheit von Bachs Meisterwerk liegt in der soliden Struktur, der Sicherheit eines finalen Ziels, kombiniert mit der Flexibilität, die dem einzelnen Interpreten Raum lässt.
Diese Platte enthält nur die Partiten Nr. 2 und 3, man könnte jedoch argumentieren, dass dies die besten der herausragenden Sammlung sind. Florin Paul wird in einer Kirchenakustik aufgenommen, spielt eine frühe Stradivari mit jugendlichem Elan und musikalischem Überschwang. Selbst im Vergleich zu anderen Aufnahmen von Sonaten und Partiten ist dies eine äußerst persönliche und individuelle Interpretation. Hinzu kommt die unmittelbare Lebendigkeit der Aufnahme, auf ungewöhnlich hohem Pegel geschnitten, was zu einer dramatischen und lebendigen Klangpräsentation führt, die das Instrument direkt vor den Hörer stellt, eingebettet in seine eigene Akustik. Augen schließen – und man ist mittendrin.
Die Klangqualität ist also völlig überzeugend. Was aber die künstlerischen Vorzüge betrifft: Fast ein Jahrzehnt lang waren meine bevorzugten Aufnahmen dieser Werke die Testament-LPs [SBTLP 3090] und Julia Fischer auf PentaTone SACD [5186 072]. Bizarreweise haben alle drei Einspielungen keinerlei Grund, ihre audiophile Glaubwürdigkeit infrage zu stellen – und alle liefern den klanglichen Genuss. Künstlerisch gesehen jedoch liegen Welten dazwischen. Haendel wurde 1995 in den Abbey Road Studios aufgenommen, gegen Ende ihrer Karriere. Die Perspektive ist etwas distanzierter, das Instrument fehlt es an der unmittelbaren Kraft der Tacet-Aufnahme, doch es handelt sich um eine reife Interpretation, die die emotionale Kraft und Spannbreite der Musik vollständig erfasst. Bis zu dieser Aufnahme hatte Haendel diese Werke zum Teil seit 60 Jahren gespielt, und die Tiefe des Empfindens und Verstehens wird deutlich. Was für ein Kontrast zu Julia Fischer, die ihre PentaTone-Aufnahme mit 21 Jahren machte! Wie sie selbst augenzwinkernd anmerkt, könnte dies als anmaßend empfunden werden, doch keine Sorge: Fischers makellose Technik und Kontrolle tragen sie durch die Werke, entwirren mühelos das komplexe musikalische Geflecht und bringen die fließenden Melodielinien zum Vorschein, die der Musik ihre nachhaltige Anziehungskraft verleihen. PentaTone liefert den gewohnt sauberen, unaufdringlichen Klang, und die Kirchenakustik bildet einen weiteren Bezug zur Tacet-CD.
Mit 31 Jahren hatte Florin Paul im Vergleich zu Fischer ein Jahrzehnt mehr Bühnenerfahrung, doch ihre Aufnahme ist weitaus überlegter und kontrollierter. Ein Teil davon liegt sicher am Temperament, doch auch am gewählten Instrument: Die Stradivari besticht durch Kraft und Projektion, weniger durch reine Schönheit des Klangs. Fischers Guadagnini, rund 60 Jahre jünger, verfügt über eine viel weichere, delikatere Tonqualität, die sie voll ausnutzt. Pauls dramatisches, fast kantiges Spiel betont dynamische Kontraste, verstärkt durch die Energie seines Instruments. Musikalisch wirkt dieser Stil für mich in schnellen Passagen überzeugender als in gemessenen, wo Fischers Ruhe und Kontrolle siegen. Doch sobald das Tempo steigt, entfaltet Pauls Interpretation eine ansteckende Lebendigkeit und Spannung.
Keine Bewertung einer Aufnahme von Sonaten und Partiten kann die legendäre Ciaconna am Ende der zweiten Partita ignorieren. Dieses über 15-minütige Werk wird am häufigsten als eigenständige Darbietung gespielt und erreicht nahezu erschütternde emotionale Intensität. Weder Fischer noch Paul erreichen Haendels emotionale Tiefe – doch Fischers atemberaubende Technik und Pauls musikalische Kraft und Spannung machen das zu einem würdigen Duell.
Nach mehrmaligem Anhören beider Partiten von allen drei Interpreten in Vorbereitung auf diese Rezension habe ich mich auf einen direkten Vergleich dieses musikalischen und emotionalen Höhepunkts eingelassen, jede Interpretation nacheinander gehört – und dann noch einmal alle nur zum reinen Vergnügen. Das sagt schon alles. Wer nur eine Aufnahme kaufen möchte, sollte zur PentaTone-Aufnahme greifen, da sie die beste Orientierung für die Werke bietet. Hat man sich jedoch eingehend vertraut gemacht, gehören Haendel und Florin Paul unbedingt auf die Liste – und wer die Musik auf LP möchte, hört Paul.
Dies mag für ein audiophiles Label wie Tacet nicht offensichtlich erscheinen, doch die Reinheit des Aufnahmezwecks und die Verpflichtung in der Interpretation tragen die Aufnahme. Wie Tacet anmerkt, entstand die Aufnahme vor 23 Jahren; heute würden einige Dinge sicher anders gemacht, und Paul würde die Werke sicherlich anders spielen. Doch genau das ist die Schönheit klassischer Musik: Selbst die ältesten Werke sind lebendig und entwickeln sich stetig weiter. Haendel, Fischer und nun Paul – welch ein Luxus, die Wahl zu haben.
Roy Gregory