254 SACD / Gustav Mahler: Symphony no. 9
Beschreibung
Dies ist nicht die neunte 5., aber immerhin die fünfte 9. Sinfonie von András Keller mit Concerto Budapest bei TACET! Nach Bruckner, Dvořák, Schostakowitsch und Schubert (sie zählt mittlerweile als die 8.) nun noch Mahler. Ein eindrücklicher Beweis für die Bandbreite dieses ungewöhnlichen Orchesters und seines großartigen Dirigenten. Sicher gibt es zahllose andere, auch sehr gute Aufnahmen dieser jeweils letzten vollständigen Sinfonien großer Komponisten. Ich finde allerdings, dass sich die Darstellungen Kellers mit seinem unbedingten Willen zum Ausdruck im Detail mit allen, auch den bekanntesten messen lassen können. Was es bisher gar nicht gab, sind Aufnahmen davon im TACET Real Surround Sound, der zuvor verborgene Schönheiten zu Tage fördert und den Hörer mitten in die Musik versetzt. Auch dadurch hört man diese Werke völlig neu.
4 Bewertungen für 254 SACD / Gustav Mahler: Symphony no. 9
Du mußt angemeldet sein, um eine Bewertung abgeben zu können.
Klassik heute –
–> zur Original-Kritik
Künstlerische Qualität: 9 von 10
Klangqualität: 10 von 10
Gesamteindruck: 9 von 10
Die Sinfonie Nr. 9 von Gustav Mahler hat in seinem Schaffen eine besondere Stellung, ist sie doch das letzte vollendete Werk seiner großsinfonischen Kompositionen. Zusätzlich ist sie ein Zeitzeugnis, in dem sich das Werk mit der damaligen Dekadenz der Zeit sowie mit dem Zerfall aller Werte und Sicherheiten beschäftigt. Musikgeschichtlich steht sie am Ende der deutsch-österreichischen sinfonischen Tradition und wurde zugleich beispielsweise von Schönberg als erstes Werk einer neuen Musik verstanden und angesehen. Man sieht also: ein gewichtiges Stück Musik, mit dem sich Concerto Budapest unter der Leitung von András Keller auf ihrer Aufnahme beim Label Tacet auseinandersetzen.
Nicht nur in ihrer Bedeutung im musikhistorischen Kontext ist Mahlers Neunte interessant und bildet einen Einschnitt, sondern auch in der Musik selbst: Erstmals bei Mahler hat eine Sinfonie keine Tonartbezeichnung, weil diese in der verschiedenen Sätzen auch öfter wechselt und manchmal ein tonales Zentrum auch nur schwer auszumachen ist. Der erste Satz ist eine Mischung aus klassischer Sonatenform und einer Variationsform, in der jeweils zwei Themenkomplexe variiert werden. Bereits in der Exposition stellt Mahler alle Motive vor und lässt diese von Instrumentengruppen vorstellen, die sonst vielleicht nicht so verbreitet sind in dieser Funktion. So kommen hier Harfe, ein gestopftes Horn oder auch die Bratschen zum Zuge, bevor schließlich die Violinen das Hauptthema vorstellen. Bereits früh fügen sich zu den Stimmen auch die Gegenstimmen, wodurch bereits der erste Satz sehr komplex wird. Dennoch gelingt es Concerto Budapest unter der Leitung von András Keller, eine gewisse Transparenz erklingen zu lassen.
Bedeutsames Werk in gelungener Umsetzung
Gleiches gilt auch für den zweiten Satz, ein Scherzo, das den schönen Titel hat: „Im Tempo eines gemächlichen Ländlers, etwas täppisch und sehr derb“. Hier überzeugen zu Beginn vor allem die Bläser, wobei sich zum täppischen Tanz schnell auch die Streicher hinzugesellen. Die Kontraste zwischen dem bäuerlichen Ländler und einem rauschenden Walzer und einem dritten, sehr langsamen Ländler setzt das Orchester gelungen und mit Mut zum Extrem um. Auch der dritte Satz, eine Rondo-Burleske, gelingt in seiner Komplexität dem Orchester sehr gut. Hier schwankt der Satz zwischen teils recht filigranen und schlicht wirkenden Melodien bis hin zu sehr komplexen und verschachtelten kontrapunktischen Abschnitten. Auch hier überzeugen Orchester und Dirigent in ihrer Umsetzung, sowohl im ganz großen Klang als auch in den Abschnitten, in denen Stimmen solistisch hervortreten. Überzeugend in seinem Streicherklang beginnt auch der Finalsatz, der als Adagio eher ungewöhnlich ist. Der Streicherapparat stellt hier das Thema vor, das in seinem Duktus sehr an einen Choral erinnert. Dieses wird einem weiteren Thema gegenüberstellt und zunehmend mit ihm verschachtelt, das in den Bläsern aufkommt. Im Laufe des Satzes wird das Choralthema zunehmend dekonstruiert – am Ende, in dem Teil, der von Mahler noch langsamer gewünscht wird, löst sich das Thema sukzessive auf. So endet Mahlers letzte vollständige Sinfonie ein wenig irritierend und ist jedoch ein wichtiges Musikzeugnis der Zeit um 1910. Auch im Finalsatz überzeugt Concerto Budapest unter András Keller. Eine gelungene Umsetzung des Werks, die zusätzlich durch den Real Surround Sound gewinnt.
Verena Düren
Audio –
Der Ungar András Keller nähert sich seinem Teil-Landsmann Mahler auf einer sehr emotionalen, leidenschaftlichen Ebene. Insbesondere die beiden trauervollen Eck-Sätze von dessen letzter vollendeter Sinfonie lassen Mahler Todesahnungen mitfühlen. Wie der letzte Satz, das Adagio der Neunten, quasi erstirbt, ergreift im Innersten. Dazu trägt die faszinierende Aufnahme im „Tacet Real Surround Sound“ gehörig bei, die den Hörer inmitten des Orchesters in eine völlig ungewohnte Klanglandschaft versetzt. Die im „Inspiring Tube Sound“ gleichfalls mit Röhren-Equipment aufgezeichnete Stereo-Spur der Hybrid SACD kommt an diese packende Immersivität nicht ran, klingt aber auch fantastisch.
Lothar Brandt
HRAudio.net –
–> zur Originalkritik
András Keller und sein Concerto Budapest unternahmen im Jahr 2022 eine äußerst erfolgreiche Tournee durch Großbritannien, die von der Presse mit Begeisterung aufgenommen wurde. Die jüngste Veröffentlichung einer so anspruchsvollen Sinfonie wie Mahlers Neunte durch diese Künstler beim Label Tacet verdient also Aufmerksamkeit, selbst in einem Katalog, der mit konkurrierenden Versionen dieses Werks auf CD, SACD und Blu-ray Discs überfüllt ist.
1907 als Ungarisches Symphonieorchester gegründet, nahm Concerto Budapest ein Jahrhundert später seinen heutigen Namen an. In den letzten 15 Jahren war András Keller der künstlerische Leiter und Chefdirigent des Orchesters, und während er auf dem historischen Erbe des Orchesters aufbaute, hat er viele der besten jungen Kammermusiker Ungarns in seine Reihen geholt. Keller ist ein Musiker mit großer Erfahrung. Er ist nicht nur Gründer und Leiter des Streichquartetts, das seinen Namen trägt, sondern war auch von 1984 bis 1991 Leiter des Budapest Festival Orchestra.
Kellers Interpretation der Sinfonie, die im Dezember 2018 im Italienischen Institut in Budapest aufgenommen wurde, ist geradlinig und frei von jeglichen Manierismen, die beim wiederholten Hören stören könnten. Seine Geschwindigkeiten für jeden der vier Sätze sind gut bemessen, und das Gesamttiming von 79,04 liegt nahe am Durchschnitt des Werks und vermeidet die Extreme von z. B. Chailly mit dem Concertgebouw Orchester (89,50) und MTT (89,27).
Der Eröffnungssatz (26.46) ist gemächlich, im Einklang mit der Bezeichnung „Andante comodo“ des Komponisten, aber es gibt ein angenehmes Gefühl der Vorwärtsbewegung mit einem sparsamen Gebrauch von Rubato und Portamento, während die Höhepunkte mit angemessener, schicksalsschwerer Kraft vorgetragen werden – nicht zuletzt dank der beeindruckenden Bläser- und Schlagzeuggruppen des Orchesters. (Da es sich um eine 5.1-Kanal-Aufnahme handelt, werden diejenigen, die einen Subwoofer verwenden, feststellen, dass die tiefen Töne der Basstrommel und die sanften Tamtam-Schläge sehr aufschlussreich sind).
Keller fängt die Parodie, die in Mahlers „rustikalem Ländler“ (14.28) enthalten ist, brillant ein und ermöglicht es dem Zuhörer, die vielen hervorragend artikulierten Holzbläsersoli in einem Satz zu würdigen, der in den falschen Händen zu langatmig werden kann. Das darauf folgende Rondo-Burleske (12.16) verlangt von jedem Orchester ein Höchstmaß an Virtuosität, und Kellers Musiker stellen sich dieser Herausforderung. Er macht keine Zugeständnisse an die mögliche Unvertrautheit seiner Spieler mit dieser Musik und treibt sie mit beträchtlicher Dynamik voran, ohne dabei die Klarheit zu verlieren, selbst in den furiosen Schlussseiten.
Das abschließende Adagio (25.34) ist für diesen Hörer der Höhepunkt von Kellers Aufführung. Er lässt die Streicher des Budapester Konzerts zu Wort kommen, und sie antworten mit einem Spiel von beachtlicher Intensität und Fülle, unterstützt von einem ebenso beeindruckenden Bläsersatz. Nach dem abschließenden Höhepunkt wird der allmähliche Abstieg in die Stille wunderbar kontrolliert, während die letzten Seiten bis an den Rand der Hörbarkeit schwanken.
Natürlich wäre es falsch zu behaupten, dass die jungen Musiker von Concerto Budapest die gleiche Geschmeidigkeit der Phrasierung, uneingeschränkte Virtuosität oder Schärfe der Attacke besitzen wie bei vielen der unzähligen aufgenommenen Aufführungen von Mahlers Neunter Symphonie durch die weltbesten Orchester aus Wien, Berlin, Amsterdam, New York und natürlich Budapest, aber ihr Spiel ist sowohl charaktervoll, kultiviert, ausdrucksstark und eindeutig engagiert.
Keller gibt zu Protokoll, dass seine Vorstellung von symphonischer Musik darin besteht, dass 70-80 Leute miteinander Kammermusik spielen und zusammen wie ein polyphoner Chor singen, und dass alle Instrumentalmusik eine Art Transformation des menschlichen Gesangs ist. Nur wenige würden bestreiten, dass diese klare und mitreißende Mahler-Aufführung eine klare Bestätigung seiner Ansicht darstellt.
Diese Aufnahme wurde in dem von Tacet entwickelten „Real Surround Sound“ aufgenommen, der alle verfügbaren Kanäle in einem ausgewogenen Surround-System nutzt, um ein umfassendes Musikerlebnis mit dem Zuhörer im Mittelpunkt zu bieten. Für einige ist dies zu kontrovers, für andere bietet es eine einzigartige, wenn auch ungewöhnliche Perspektive auf die Musik. Es sollte auch darauf hingewiesen werden, dass Tacet eine Stereoversion (2-Kanal) auf der Disc anbietet, falls das 5.1-Surround-Erlebnis nicht nach Ihrem Geschmack ist.
In jeder Hinsicht ist dies eine Aufnahme, die es wert ist, erkundet zu werden.
Urheberrecht © 2023 Graham Williams und HRAudio.net
Pizzicato –
–> Originalkrititk
Immersive Neunte Mahler
In dieser Surround-Aufnahme mag Andras Keller dirigieren, für den Hörer ist das Team von Tacet für das Endergebnis nicht weniger wichtig. Ich habe schon so manche Tacet-Einspielungen im Real Surround gehört, aber diese erlaubt ein ganz besonders immersives Erlebnis, weil sie die Ausdrucksvielfalt der Musik verstärkt, die einzelnen Gesten deutlicher werden lässt, das Unerwartete und das Groteske betont. Der Hörer sitzt mitten im Orchester, das um ihn herum platziert ist, Trompeten und Schlagzeug vorne, Holz eine Reihe davor, also unmittelbar vor dem Hörer, während die Streicher genauso direkt hinter ihm sitzen. Außen links sind die Hörner, außen rechts die Posaunen und hinten die Tuba. Das ergibt ein ganz spezielles, ungewohntes Klangbild, das einem Mahlers Sprache jedoch sehr klar werden lässt.
Im ersten Satz fühlt man das Desolate und Mahlers Todesahnungen, im zweiten wird das Täppisch-derbe des Ländlers bestens zum Ausdruck gebracht.
Die Rondo-Burleske kommt sehr burschikos daher, und in der Dezidiertheit der Musik, positiv zu wirken, wird dann doch deutlich, dass das alles nur erzwungene Fassade ist, Galgenhumor, wie es Mengelberg formulierte. Der Beginn des letzten Satzes reißt uns sofort in die Welt des Abschieds zurück, die diese Symphonie wohl für Mahler bedeutete, ganz besonders in diesem Adagio-Finale, das Keller in fünfundzwanzigeinhalb Minuten erst zum Glühen und dann zum Ersterben bringt. Auch in diesem Satz ist der musikalische Tauchgang höchst intensiv, der Tod um einen herum zutiefst ergreifend, besonders wenn man die Musik mit geschlossenen Augen wie in einem Klangtunnel erlebt: Musik für einen perfekten Passagio.
Remy Franck