161 CD / Johann Sebastian Bach: French Suites BWV 812 – 817
Beschreibung
Über das Bach-Spiel des russischen Pianisten Evgeni Koroliov mit der Wahlheimat Deutschland lässt sich nicht viel Neues sagen. Der berühmte Ligeti-Ausspruch, der Koroliovs Einspielung der „Kunst der Fuge“ (TACET 13) „einsam und verdurstend“ mit auf die einsame Insel nehmen wollte, wurde mittlerweile oft genug zitiert. Auch seine schier unglaubliche Fähigkeit, in der Mehrstimmigkeit jede einzelne Stimme so zu gestalten, als wäre sie die einer eigenständigen Person, ist oft genug gepriesen worden. Denen, die sein Klavierspiel und seinen Bach im Besonderen lieben, muss die Empfindsamkeit, mit welcher Koroliov die Stimmung einzelner Momente, ja einzelner Töne zu nuancieren weiß, ohnehin nicht erklärt werden. Für diese alle hat er die französischen Suiten von Bach neu eingespielt. – Zwei CDs zum Preis von einer.
10 Bewertungen für 161 CD / Johann Sebastian Bach: French Suites BWV 812 – 817
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radio K1 –
Johann Sebastian Bachs große Passionen sind Monumente der Musikgeschichte. Aber Bach hat natürlich nicht nur die große Form gepflegt. Da gab es freilich auch den Meister des Konzerts, des Soloinstruments, der kleinen Form, die oftmals in Zyklen zusammengefasst ist. ob im französischen Stil, im englischen Stil – Bach fühlte sich in den Traditionen seiner Zeit nicht nur zuhause, er schuf daraus auch Werke, die seinen persönlichen Stempel trugen. Bester Belg: Die „Französischen Suiten“ BWV 812-817. In der Gunst der Klavierwerke Bachs stehen sie nicht an erster Stelle – den Platz hat das „Wohltemperierte Klavier“ inne – aber darunter finden sich sehr wohl Edelsteine von großer Schönheit. Ich will nur so viel sagen: Auch mit solchen Werken kann man hörend meditieren. Und dafür sorgt vor allem die Einspielung von Evgeni Koroliov, der die Suiten jetzt für das Label TACET eingespielt hat. Da findet sich eben jene Abgeklärtheit bis hin zum Abgründigen, im Wechselspiel mit französischer Noblesse, und das in einer Interpretation, die die Konkurrenz großer namen zwar nicht in den Schatten stellt, sich aber doch in die erlauchte Riege sehr wohl einreiht. Der hohe technische Standard dieser Aufnahme weist dieser Einspielung obendrein einen bevorzugte Platz zu. Und jetzt hören Sie mit mir einfach mal ganz gelassen zu und lassen Sie sich ein auf diese Musik, diese schönen Klänge, dieses künstlerische Niveau.
Pizzicato –
Die Bach-Interpretationen des russischen Pianisten Evgeni Koroliov haben mittlerweile Kultstatus erlangt, und diese neueste Einspielung wird das nur noch verstärken. Wie Koroliov es macht, um eine im Grunde romantische Empfindsamkeit mit einem bestechend klaren und letztlich pianistisch auch sehr zurückhaltenden Spiel zu vereinen, ist unglaublich. Die Konzentration, die von der Musik ausgeht, zwingt den Zuhörer zum Mitgehen, weil hier auch das Komplexeste in einer faszinierenden Einfachheit dargeboten wird. Wo andere Interpreten dynamisieren, verzieren, akzentuieren und Farbe um Farbe auftragen, erklingt Bachs Welt hier mit einem selten vernommenen Reichtum zartester Nuancen. Und irgendwie hat man den Eindruck, in Bachs Intimität einzudringen, fürchtet fast sie zu stören und hört nur noch, tief ergriffen und wie hypnotisiert zu.
RéF
Concerti –
Das Mysterium großer Musik
Evgeni Koroliov hat Bachs „Französische Suiten“ eingespielt
Die wunderbar wohltuende Ruhe und die liebevoll innige Behutsamkeit seines Spiels, aber auch die analytische Tiefenschärfe und die grenzenlose Ausleuchtung der motivischen Mehrstimmigkeit von Johann Sebastian Bachs „Französischen Suiten“ machen vollends vergessen, dass sich Evgeni Koroliov in dieser grandiosen Aufnahme natürlich eines modernen Steinway und nicht eines historischen Cembalo der barocken Entstehungszeit bedient. Authentisch wirkt seine Annäherung an den Thomaskantor gleichwohl, objektivierend und uneitel dient Koroliov seinem Bach. Dabei wirkt sein Spiel nie distanziert, sondern im wahrsten Sinne des Wortes die Größe Bachs erkennend. Der 1949 in Moskau geborene Künstler und Wahl-Hamburger, der mit großem Erfolg an der hiesigen Musikhochschule die Meister von morgen ausbildet, baut auf leise und auf weise Töne. Er ist dem Mysterium dieser großen Musik auf der Spur. Wo Geist und Tat bei Bach so ideal Hand in Hand gehen, erweist sich Koroliov als ein genialischer Nachschöpfer, der auf vollkommene Weise Denker und Macher zugleich ist. Durchdrungen von des Meisters göttlicher Klarheit des Gedankens begegnen sich in Koroliovs Bach intellektuelles Begreifen und sinnliches Spiel in ihrer wahrlich goldenen Mitte.
Peter Krause
Klassik heute –
Höchstnote „10“ für künstlerische Qualität, Klangqualität und Gesamteindruck
In Klavierkreisen heißt es, irgendwann komme jeder Pianist bei Bach an. Evgeni Koroliov, 1949 in Moskau geboren, spielte bereits als 17-Jähriger das gesamte Wohltemperierte Klavier in seiner Heimatstadt – natürlich auswendig. Seitdem hat er mehrfach die großen Werke „pour clavessin“ des Leipziger Thomaskantors öffentlich vorgetragen und 1990 mit der Einspielung von Die Kunst der Fuge (Tacet 13) sogar höchstes Lob aus berufenem Munde geerntet. Der Komponist György Ligeti wählte Koroliovs Aufnahme zu seinem persönlichen „Werk für die einsame Insel“, denn diese Platte würde er „einsam verhungernd und verdurstend, bis zum letzten Atemzug immer wieder hören“. 1999 folgten bei Hänssler Classic u. a. die Goldberg-Variationen und im Bachjahr 2000 die beiden Bände des Wohltemperierten Klaviers (Tacet 93 und 104).
Es verwundert nicht, dass Koroliovs bisherige Bach-CDs zu Referenzeinspielungen wurden. Mit größerer Souveränität und Überlegtheit lässt sich der Dschungel barocker Polyphonie kaum durchstreifen. Bei den Französischen Suiten glückt ihm zudem das Kunststück, den Zuhörer gleichsam auf eine transzendente Ebene zu heben. Das obligatorische Grundgerüst der Tanz-Abfolge Allemande – Courante – Sarabande – Gigue, in das Bach zur Steigerung des individuellen Charakters jeder Suite weitere Tänze wie Menuett, Gavotte, Bourrée, Air, Anglaise, Polonaise und Loure einfügte, belebt Koroliov durch extreme, jedoch nie unorganisch wirkende Tempounterschiede. Gewiss, den getragenen tänzerischen Charakter mancher Sarabande ersetzt er – wie bei der vierten Suite – durch einen rein meditationsartigen. Ebenso könnte man ihm vorhalten, die meisten seiner Interpretationsansätze lassen nicht nur jeglichen Bewegungsdrang, sondern auch Temperament weitgehend vermissen, manches wirke gar wie buchstabiert.
Bach dürfte zwar die Schritte zu den vormals populären Gesellschaftstänzen gekannt haben, aber die meisten waren zu seiner Hauptschaffenszeit schon aus der Mode und lediglich noch in der Kunstmusik präsent. Koroliov abstrahiert bzw. objektiviert das musikalische Geschehen also durchaus zurecht. Dass eine „bodenständigere“ Wiedergabe genauso möglich wäre, fällt nicht ins Gewicht, da der philosophische Gehalt, den er aus den vermeintlich schlichten Tänzen hervorholt, absolut überzeugt. Man höre nur das zur geistigen Übung mutierte Menuett aus der 3. Suite. Und plötzlich versteht man, warum diese sechs Suiten, die immer ein wenig im Schatten der artifizielleren Englischen Suiten stehen, den Beinamen „Französische“ wirklich verdienen: Sie sind es, die unverstellt ans Zivilisierte im Menschen appellieren.
Wesentlicher Bestandteil des bei aller Kontrolliertheit entrückten Spiels Koroliovs ist sein immenser Erfindungsreichtum im Auszieren der Wiederholungen der einzelnen Formteile. Der Hamburger Klavierprofessor verrät darin seine intime Kenntnis barocken Stilempfindens, das einst in der Improvisationskunst der Opernsänger gipfelte. Sein glasklarer, niemals hart wirkender Anschlag sowie das ihm eigene Talent, übergeordnete Zusammenhänge durch richtige Akzentsetzungen und ein untrügliches Timing kenntlich zu machen, erinnern an den legendären russischen Pianisten Samuel Feinberg. Dessen Bach-Platten aus den 1950er Jahren leiden unter einer mangelhaften Klangqualität. Die Aufnahmetechnik der vorliegenden Französischen Suiten ist dagegen ideal. Im Sinne einer akustischen Lupe trägt sie dazu bei, den Hörer in die Strukturen der Musik hineinzuziehen. Besser als Evgeni Koroliov hätte man auch diesmal bei Bach nicht ankommen können.
Richard Eckstein
Stuttgarter Zeitung –
Von letzten Dingen
Es ist 18 Jahre her, dass das Stuttgarter Label TACET Bachs „Kunst der Fuge“ in der Einspielung eines fast unbekannten russischen Pianisten vorgelegt hat. Für György Ligeti war das die CD für die berühmte einsame Insel, „bis zum letzten Atemzug“ würde er nach eigenem Bekunden diese Platte hören wollen. Heute hat sich Evgeni Koroliov unter den großen Pianisten etabliert, und nach wie vor bilden Bachs Werke den Mittelpunkt seines Schaffens. Nach den Goldberg-Variationen and dem „Wohltemperierten Klavier“ sind nun die Französischen Suiten als Doppel-CD erschienen und belegen erneut den Rang dieses Ausnahmepianisten. Koroliov sagte einmal, er glaube nicht, dass es wertvoller sei, dem Individuum Ausdruck zu verleihen als dem Universum. Tatsächlich erscheint unter seinen Händen Bachs Kontrapunktik wie eine Emanation von Spiritualität: Musik als Offenbarung der letzten Dinge – was dann wieder eine zutiefst romantische Haltung ist. Das Hören dieser Aufnahme ist ein faszinierendes Erlebnis: Koroliov durchschreitet den Suitenkosmos mit einer völlig entspannten Haltung, jedes Motiv, jede Phrase ausleuchtend. Vor allem kontemplative Satze wie die Sarabanden und Allemanden werden so zu quasi absoluter Musik, ohne dass sie ihren speziellen Formcharakter verlieren würden. Koroliov ist und bleibt ein uneitler Mystiker.
(fab)
Piano News –
Schon lange gilt der unscheinbar wirkende Pianist Evgeni Koroliov nicht mehr als Geheimtipp. Seine Bach-Interpretationen haben Maßstäbe gesetzt und der Kommentar des Komponisten György Ligeti, er würde Koroliovs Einspielung der „Kunst der Fuge“ „einsam und verdurstend“ mit auf eine einsame Insel nehmen, ist mittlerweile geradezu legendär. Um sein Bach-Kompendium zu vervollständigen, hat Koroliov nach der „Kunst der Fuge“ und dem „Wohltemperierten Klavier“ nun beim Label TACET die „Französischen Suiten“ eingespielt.
Für alle Koroliov-Fans eine Bereicherung, denn wieder besitzt das Spiel des russischen Pianisten eine suggestive Sogkraft, wie sie selten zu hören ist. Unter seinen Händen entfaltet sich eine tief beseelte Musik voller Magie. Besonders deutlich wird dies in der zweiten Suite c-Moll. Dabei klingt alles schlicht und einfach. Aber genau darin liegt die Schwierigkeit. Den Notentext mit seinem engen Beziehungsgeflecht transparent und doch nicht unterkühlt zu deuten.
Koroliov scheint jeden Ton zu erfühlen, zu beleuchten und offenbart damit die reine Schönheit der Musik. Galant und auch mit tänzerischer Verve gestaltet er die Sätze und behält immer das richtige Maß, vermeidet dynamisches Gleichmaß ebenso wie interpretatorische Ausschweifungen.
Die Suiten, die sich an der Satzfolge fünf französischer Tänze – Allemande, Courante, Sarabande, Menuett und Gigue – orientieren, komponierte Bach als Unterrichtsmaterial, drei in Dur- und drei in Moll-Tonarten. Mit welcher Gelassenheit Koroliov den didaktischen Anspruch mit reiner Poesie verbindet, ist einzigartig. Kurzum: eine wunderbare Aufnahme!
Anja Renczikowski
Classica-Répertoire, mars 2008 –
Komponiert von Johann Sebastian Bach für den Gebrauch in seinem Familien- und Schülerkreis, verbinden die Französischen Suiten auf meisterhafte Weise pädagogischen Anspruch mit musikalischer Exaktheit. Die Stücke sind wenig virtuos, das Kontrapunkt bleibt relativ einfach, doch stets interessant – sowohl melodisch als auch rhythmisch.
Evgeni Koroliov hebt in seiner Interpretation die Transparenz dieser Werke hervor und präsentiert – ähnlich wie bei den Inventionen – eine ausgewogene, „erwachsene“ Version, ohne dabei ihre jugendliche Frische zu verlieren. Er setzt die Pedalnutzung auf die langsamsten Tempi beschränkt ein und reiht sich damit in gewisser Hinsicht in die pianistische Bach-Tradition ein, die von Glenn Gould (Sony) geprägt wurde. So spielt er oft non legato, mit gezupften, manchmal gebundenen Bässen und einer besonders beweglichen rechten Hand, die weniger legato spielt als in seinen anderen Aufnahmen (etwa dem Wohltemperierten Klavier). Dennoch gibt es Aspekte seines Spiels, die ohne die historische Aufführungspraxis und die Renaissance des Cembalos undenkbar wären – und ihn damit deutlich von Gould oder dem Bach, wie man ihn am Konservatorium lernt, abheben, aber auch, in gewisser Weise, vom Koroliov, den man bisher kannte.
Drei Aspekte seiner Interpretation verdienen besondere Hervorhebung: die relativ langsamen Tempi, die zarte Anschlagsnuancierung und die starke Betonung der rhythmischen Agogik. Der Pianist spielt die langsamen Sätze (Allemanden, Sarabanden) oft „hinter dem Takt“, hält den Fluss der Phrasen durch häufige Verzögerungen zurück und schafft so expressive Spannungen durch die Unregelmäßigkeit der Basslinie. Gleichzeitig schenkt er dem cantabile und den Verzierungen der rechten Hand besondere Aufmerksamkeit, die er mit seltener Zartheit gestaltet. So entsteht ein seltenes Gefühl von Zurückhaltung, aber auch von Tiefe und Innerlichkeit. Die schnelleren Sätze werden eher metrisch, oft mit einem staccato-artigen Ansatz interpretiert, ohne jedoch besonders brillant zu wirken. Der russische Musiker bleibt stets in seinem Maß und lässt nie die freudvolle, tanzende Energie durchscheinen, wie sie etwa bei Gould zu hören ist.
Mit dieser modernen, zugleich sehr klavierbezogenen und zeitgemäßen Version der Französischen Suiten bietet Koroliov eine düstere, ausgewogene und plastisch beeindruckende Deutung – eine Interpretation von großer Präsenz und Innerlichkeit.
Stéphan Vinvent-Lancrin
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Französischer Originaltext:
Composées par Johann Sebastian Bach pour l′ usage de son cercle familial, enfants et élèves, les Suites françaises concilient avec un art consommé pédagogie et exigence musicale, offrant des pièces peu virtuoses, au contrepoint assez simple, mais toujours intéressantes, tant du point de vue mélodique que rythmique. Evgeni Koroliov en fait ressortir la transparence et, comme pour les Inventions, propose une version assez adulte, sans pour autant en évacuer la juvénilité. Limitant l’usage de la pédale aux tempos les plus lents, il s’insère par certains côtés dans la tradition interprétative de Bach au piano marquée par Gould (Sony). Ainsi jouet-il beaucoup en détaché, avec des basses lourées, parfois liées, et une main droite très déliée, plus éloignée du legato que dans ses autres enregistrements (par exemple le Clavier bien tempéré). Cependant, d’autres aspects de son jeu auraient été impensables sans l’interprétation baroque et le retour en grâce du clavecin – et l’éloignent fortement de Gould ou du Bach que l’on apprend au Conservatoire, mais aussi, dans une certaine mesure, du Koroliov que l’on connaissait.
Trois aspects de ses interprétations méritent d’être soulignés: la relative lenteur du tempo, la délicatesse du toucher, et le fait que sa conduite repose beaucoup sur l’agogique rythmique. Le pianiste joue les pièces lentes (allemandes, sarabandes) souvent en arrière du temps, en retenant le flux des phrases par des retards fréquents, créant des tensions expressives avec l’irrégularité de la ligne de basse; il porte par ailleurs une grande attention au cantabile et aux ornements de la main droite, interprétés avec une rare délicatesse. De la musique se dégage ainsi un rare sentiment de réserve, mais aussi de profondeur et d’intériorité. Les pièces plus rapides sont interprétées de manière métronomique, souvent dans une approche plus staccato, quoique pas spécialement brillante. Le musicien russe ne se départit pas de sa mesure, et ne laisse jamais sourdre de la musique l’énergie joyeuse et dansante que l’on retrouve par exemple chez un Gould.
Avec cette ersion moderne des Suites françaises, à la fois très pianistique et très contemporaine, Koroliov nous propose de cette œuvre une version sombre, équilibrée, remarquable du point de vue plastique, et habitée. Stéphan Vinvent-Lancrin
Hessischer Rundfunk, CD-Tipp –
Der 1949 geborene Pianist Evgeni Koroliov hat sich vor allem als Bachspezialist internationales Ansehen erworben. Der aus Moskau stammende und in Hamburg lebende Musiker begann seine Bach-Veröffentlichungen im Jahr 1990 mit der „Kunst der Fuge“. Viele seiner Aufnahmen entstanden auch in Co-Produktionen mit dem Hessischen Rundfunk. Nun hat er sich auf einer bei dem Label TACET veröffentlichten Doppel-CD der sechs Französischen Suiten angenommen.
Bach schrieb seine Französischen Suiten als Übungsmaterial für den Gebrauch innerhalb seiner Familie. Erste Fassungen tauchen schon im Klavierbüchlein für Anna Magdalena Bach auf. Auch wenn die Kompositionen der französischen Barockmusik ihre wichtigsten Impulse verdanken, so greift Bach in ihnen doch auch andere Stilelemente auf, so etwa die virtuosen Läufe der italienischen Musik. Das Französische an den Suiten ist in erster Linie die Abfolge der Tanzsätze: Allemande, Courante, Sarabande und Gigue. Zwischen den beiden Letztgenannten nimmt Bach jeweils Erweiterungen vor und fügt zusätzliche Tanzsätze ein: Anglaisen, Menuette oder Polonaisen.
Wegen ihres didaktischen Charakters sind die Suiten vom Technischen her weniger anspruchsvoll als ihr Pendant, die Englischen Suiten. Aufgrund ihrer Transparenz und leichteren Spielbarkeit verlangen sie aber umso mehr nach einem durchdachten und gut austarierten Spiel, das alle Feinheiten der Musik zum Klingen bringt. Ein virtuoses Überspielen musikalischer Details ist hier nicht möglich. Jede kleinste Ungenauigkeit wäre sofort hörbar. Für diese Musik ist ein Pianist wie Evgeni Koroliov mit seiner gewissenhaften und ausgetüftelten Interpretationskunst genau der richtige Mann.
Einfühlsam und mit großer Klarheit in der musikalischen Gestaltung geht Evgeni Koroliov zu Werke, wenn er die Französischen Suiten von Johann Sebastian Bach zum Klingen bringt (…)
Schon Glenn Gould wollte den Suiten alles „Französische“ austreiben: das Galante, das Verspielte, das Vornehm-Luxuriöse, kurz: den Glamour. Er ignorierte deshalb Verzierungsanweisungen und dynamische Vorgaben. Erstellte Gould sozusagen die asketische Version der Suiten, so liefert Koroliov nun die vergeistigte. Er nähert sich Bachs Musik mit Bedacht und Nachdenklichkeit. Die eher gemäßigten Tempi, die er wählt, entsprechen dieser empfindsamen und kontemplativen Haltung. Sie bewahren aber auch den vornehmen Charakter, den die französische Barockmusik ja gleichfalls ausstrahlt.
Evgeni Koroliov ist der Prototyp eines gewissenhaften Perfektionisten. Bei ihm bleibt nichts dem Zufall überlassen; von Anfang bis Ende ist alles genauestens durchdacht; jede Note, jeder Anschlag, jede dynamische Wendung hat ihren festen Platz und ihre Funktion im musikalischen Gefüge. Koroliov will mit seinen Interpretationen den Hörern alles offenbaren, was die Musik zu bieten hat.
So entstehen seine Einspielungen in langwierigen und intensiven Arbeitsprozessen, an deren Ende ein Ergebnis steht, zu dem sich der Interpret in jedem kleinsten Detail bekennen kann, sonst würde er es der Öffentlichkeit nicht präsentieren. (…)
Gisela Walther
Bayern 4 Klassik Radio –
Wie einsam ein Klavierspieler vor seinen Tasten sitzt und greifend sich und allen, die ihn hören, ein Universum eröffnet, diese Klänge machen es deutlich: möglicherweise liegt es an der Tonart d-Moll, oder an Evgeni Koroliovs bezwingendem Spiel, oder an beidem, dass hier ein Konzentrat entsteht, eine Essenz des alleinigen Musizierens. Bachs Französische Suiten geben diesem alleinigen Tun einen Sinn. Was auch daraus resultieren mag, dass Bach seine insgesamt sechs Klaviersuiten zum internen Gebrauch innerhalb seiner Familie und für seine Schüler als Unterrichtsmaterial komponiert hat. 1722, zu seiner Zeit als Kapellmeister in Köthen. Erste Fassungen der Suiten finden sich bereits in dem Clavier-Büchlein für Anna Magdalena Bach, Bachs zweiter Ehefrau. Das Französische an den Suiten meint die Satzfolge, die sich an fünf tradierten französischen Tänzen orientiert: Allemande, Courante, Sarabande, Menuett und Gigue. Dieses Muster erweiterte Bach wahlweise um einige Tänze wie Anglaise, Air, Loure oder Bourrée. Auch die Tonartenwahl mit drei Moll-Tonarten und drei Dur-Tonarten unterstreicht den didaktischen Charakter der Suiten. Obwohl die Französischen Suiten in ihrer technischen Anforderung moderater sind als ihr Pendant, die Englischen Suiten, wird keine Stimme zur bloßen Nebensache. Gerade die Transparenz des Satzes braucht das detaillierte Aushören, weil hier kein vollgriffiger Virtuosenpinsel drübergewischt werden kann. Darin, so scheint es auf dieser CD, liegt die herausragende Interpretationskunst des Pianisten Evgeni Koroliov. Sein Spiel wirkt nachlauschend, bedächtig, als würde er gerade aus dem Stehgreif fantasieren. Seine Verzierungen dosiert der renommierte Bachspezialist voller Sorgfalt, der warme Klang des Flügels atmet kammermusikalische Nähe. Cantabile führt Koroliov durch galante und nachdenkliche Passagen. Tänzerischen Drive gestaltet er als innere freudige Belebung, abgelöst von Momenten stummen Betrachtens, in denen sich der Pianist wohltuend die Freiheit nimmt, sich selbst zu entfalten. Die dramaturgische Abfolge der einzelnen Suitensätze ist derart präzise abgestimmt, dass erst mit dem letzten Ton der finalen Gigue der Bachsche Kosmos erfüllt durchschritten ist. So wird das vermeintlich Kleine ganz groß.
Julia Schölzel
Musik an sich –
QUADRATUR DES KREISES
Die relativ moderaten Ansprüche, die J. S. Bachs Französischen Suiten an den Klavierspieler stellen, bedeuten nicht, dass sie nur den Charakter von Übungsstücken hätten. Mit ihrem übersichtlichen, oft nur zwei- oder dreistimmigen Kontrapunkt erinnern sie zwar manchmal an die Sinfonien und Inventionen, die Bach eigens für Unterrichtszwecke komponiert hat. In beiden Fällen versteht sich Bach aber wie kaum ein anderer darauf, Poesie und pädagogische Absicht wie selbstverständlich miteinander zu verbinden, wobei bei den Suiten naturgemäß die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen barocken Tanzmodellen im Vordergrund steht.
Die transparente Textur der Musik stellt auf dem Cembalo andere Anforderungen als auf dem modernen Flügel. Sorgen hier glitzernde Verzierungen für ein dynamisches, federndes Profil, ist es dort eine entsprechende Anschlagskultur. Evgeni Koroliov versteht sich darauf exzellent. Er gestaltet mit Fingerspitzengefühl und verzichtet darauf, der Musik ein interpretatorisches Konzept überzustülpen. Weder gleitet er legato- und rubatoselig ins Ungefähre und Meditative ab noch skelettiert er die Musik durch zu trockene Akzente. Stattdessen findet er für jedes Stück eine eigene Lösung. Sein Spiel ist gleichsam maßgeschneidert, bis hin zu den wohlgesetzten Verzierungen. Bemerkenswert ist auch sein Sinn für farbliche und klangräumliche Differenzierung gerade bei den geringstimmigen, langsamen Sätzen. Prägnant heben sich davon die virtuoseren Stücke ab. Koroliov vermeidet da jede motorische Routine, legt Wert auf innere Bewegtheit und Spannung. Allemande, Courante, Sarabande, Menuet und Guige werden da fast zu Charakterstücken.
So frei und atmend habe ich die Musik selten gehört, da gelingt Koroliov erneut die Quadratur des Kreises aus barocker Architektur und romantischem Ausdruck. Diese Aufnahme bietet durchgehenden Genuss, der Geist und Sinne gleichermaßen anspricht und aufbaut.
Georg Henkel