Während vielfach die Krise der CD betrauert wird und die Industrie den Musikkonsumenten immer mehr dazu erziehen will, sich von Internet und Bildschirmgeräten abhängig zu machen, geht Andreas Spreer den umgekehrten Weg. Sein Credo: Musikerlebnisse auf klassischem Wege im Rahmen einer konzentrierten Hörsitzung vor der heimischen Anlage sind nach wie vor zeitgemäß, wenn man nur das ganze Potenzial eines physischen Tonträgers auszureizen weiß. Vor Jahrzehnten unternahm Spreer mit seinem Tacet Label schon solche Vorstöße mit der DVD – jetzt sollen die viel größeren Datenressourcen der Blueray einem umfassenden Musikerlebnis dienen.
Dies geschieht aktuell mit einer Neuauflage der bereits als CD vorliegenden Einspielung von Wilhelm Furtwänglers eigenwilligem C-Dur-Klavierquintett. Auf einer Blueray wird jetzt nicht nur per surround-Verfahren eine möglichst räumliche Konzertsaal-Situation simuliert – vielmehr gehen aus der dreidimensionalen Abbildung der Instrumente eigenständige künstlerische Prozesse hervor!
Wählt man beim Hören die Option „moving surround“, bleiben die einzelnen Instrumente nicht länger statisch an einer Stelle. Sie umkreisen manchmal sogar den Hörer, fast wie imaginäre Himmelkörper auf einer Umlaufbahn. Das Hörerlebnis wird also im wahrsten Sinne des Wortes bewegter.
Im Falle von Wilhelm Furtwänglers Klavierquintett hilft dieser raffinierte Kunstgriff zur besseren Durchdringung eines ganz und gar labyrinthischen Stückes Musik. Furtwängler war im Jahre 1911, als er diese Komposition begann, noch nicht auf eine klare Bahn eingeschworen. Aber dann erfolgte der sprunghafter Karrierestart – der Rest ist Geschichte bei diesem Jahrhundert-Dirigenten. Die eigene kompositorische Arbeit fristete seitdem eher ein Schattendasein. Er hat entworfen, verworfen, weitergedacht. Nicht weniger als eine Lebensaufgabe sollte hier gestemmt werden – entsprechend schwer wiegt jeder einzelne Takt dieses gewaltigen viersätzigen Quintetts, in dem sich der Geist der Spätromantik aufbäumt, ohne wirklich die Schwelle zur Moderne zu übertreten. Mal klingt es in den langen Sätzen dieser riesigen Komposition nach Mahler, Reger oder auch Pfitzner – und wo Furtwängler deren Niveau nicht erreicht, setzt er überzeugend eine ureigene Ästhetik entgegen, welche die Ausdehnung von Räumen und Zeitmaßen favorisiert. Wie in einem Hochgebirge türmt es sich von einem Höhepunkt zum nächsten auf – und überhaupt wähnt man sich oft in einem breitwandigen sinfonischen Satz oder auch in einem polternd expressiven virtuosen Klavierkonzert.
Das Clarens Quintett hat auf jeden Fall sämtliche „kolossalen“ Ansprüche erfasst – und schlägt sich darüber hinaus sehr tapfer, wenn es um plausible Strukturierungen des Materials geht. Und man hat durchaus das Gefühl, als wolle hier Furtwänglers Klangideal widerspiegelt werden, wie es aus seinen Aufnahmen überliefert ist.
Die Moving-Surround-Technik des Tacet-Labels macht etwas neues daraus: Betrachtet man Furtwänglers musikalisches Unterfangen als rastloses Streben von faustischer Dimension, wird dieser unstete Prozess hautnäher erfahrbar, je mehr alles in Bewegung und Rotation gerät.
Wem das zu wenig realistisch erscheint und wer eben doch lieber die leibhaftigen Musiker in ihren realen Standorten verorten möchte, schaltet einfach auf die „normale“ 5.1-Surround-Wiedergabe um oder hört ganz klassisch im Stereoformat. Es sind viele andere musikalische Unterfangen denkbar, bei denen diese moving surround-Technik sinnvoll und „musik-vermittelnd“ zum Einsatz kommen kann. Man denke etwa ans Musiktheater. Und natürlich an die vielgestaltigen Sujets in der neuen und neuesten Musik, wo die wirklichen Zukunftspotenziale für diese Technik schlummern.
Stefan Pieper<< back