Letztes Zeugnis der Reife
Es ist vollbracht: Das Kölner Auryn-Quartett hat sämtliche Quartette Beethovens eingespielt
"Um Beethoven kommt kein Musiker herum. Und ein Quartett schon gar nicht. Würde jemand eine Gattungsgeschichte des Streichquartetts verfassen, ohne Beethoven zu erwähnen, könnte er genauso gut die Entwicklung der Menschheit beschreiben und dabei den aufrechten Gang, die Entdeckung des Feuers oder die Erfindung des Rades auslassen - oder alles zugleich. Insofern ist es kein Wunder, daß die vier Herren des Auryn-Quartetts beim Gespräch so gut gelaunt in der Küche von Matthias Lingenfelder beieinander sitzen und vor Probenbeginn noch einen Milchkaffee schlürfen. Wer sämtliche Beethoven-Streichquartette eingespielt hat, der hat etwas Elementares geleistet, der darf getrost entspannt sein.
In diesen Tagen ist die vierte und letzte Doppel-CD mit den Beethoven-Aufnahmen des Auryn-Quartetts erschienen. Da läßt sich′s befreit durchatmen. Eine Verpflichtung sei damit eingelöst, ein dringendes Anliegen vorgetragen, ein Herzenswunsch in Erfüllung gegangen - jeder drückt die Bedeutung dieser Aufnahmen ein bißchen anders aus. Froh sind sie alle vier: Die Beethoven-Quartette komplett auf CD einzuspielen - "das mußte jetzt einfach sein", so lapidar sagt es Matthias Lingenfelder, der erste Geiger.
Andererseits ist da natürlich auch die Belastung, der Druck: Wer sich mit diesen Quartetten an die Öffentlichkeit und in die Ewigkeit der Schallarchive wagt, der stellt sich in eine Reihe, in eine Tradition - und mithin auch dem Vergleich: mit dem Amadeus-Quartett, dem Guarneri-Quartett, dem LaSalle-Quartett, dem Melos-Quartett, dem Juilliard-Quartett, dem Alban-Berg-Quartett und so weiter und so fort. Seit es die moderne Aufnahmetechnik gibt, hinterläßt jedes große Ensemble seine Deutung dieser 16 Werke auf Platte. Da kann einem nachrückenden Quartett leicht der Mut schwinden. Wozu sollte man noch eine weitere Interpretation auf den Markt schmeißen? "Früher hätte ich gedacht", sagt Andreas Arndt, der Cellist, "eine Beethoven-Gesamteinspielung zu machen - das ist Quatsch."
Heute denkt er anders. Heute, 28 Jahre nachdem sich Matthias Lingenfelder, Jens Oppermann, Stewart Eaton und Andreas Arndt an der Kölner Musikhochschule zum Quartettspiel zusammengetan haben - heute kommt ihnen dieses Mammut-Projekt wie eine Zwangsläufigkeit vor, wie ein nächster, folgerichtiger Schritt im Leben ihres Ensembles. Im Grunde ist diese Aufnahme der Beethovenschen Streichquartette der letzte noch zu erbringende Nachweis, daß dieses Quartett erwachsen ist. Eine Reifeprüfung nach 23 erfolgreichen Jahren, so etwas gibt es wohl nur in der klassischen Musik. Das Zeugnis stellen jetzt die Kritiker aus.
Klar seien sie nun nervös, sagt Matthias Lingenfelder. Jetzt wo alles getan ist, keine Korrekturen mehr möglich sind und nichts zu tun bleibt, als auf Besprechungen und Verkaufszahlen zu warten. Neun Wochen, verstreut über zwei Jahre, haben die vier Auryn-Musiker mit dem Aufnehmen zu-gebracht. Und das, obwohl Lingenfelder gar nicht gern aufnimmt, weil "ich eigentlich das Publikum brauche", wie er sagt.
Zig-Mal haben sie nur die langsame Einleitung des Schlußsatzes aus Opus 18/6 in die Mikrophone gespielt, bis alle Möglichkeiten durchexerziert waren, wie ‚man diese paar Vorschlagsnoten ausführen kann. Um sich am Ende doch festlegen zu müssen auf eine Version. Oder der langsame Satz aus Opus 95: Andreas Arndt ist nach wie vor der Meinung, daß sie den auf der Aufnahme zu schnell spielen. Wie sollte ein Musiker da nicht nervös werden? Wo doch immer das Bewußtsein mitspielte, "daß das die letzte Möglichkeit war; und daß wir diese Gesamtaufnahme nie wieder machen werden", sagt Matthias Lingenfelder. "Nie wieder" - hat schon einmal jemand so schön ausgedrückt, daß eine Plattenaufnahme immer auch ein Abschiednehmen ist?
Indes - zu viel Pathos wird der Sache wohl auch nicht gerecht. Denn die Wahrheit ist ja, daß ein solches Großprojekt gar nicht zu machen ist ohne jene Ruhe und Gelassenheit, die die Auryn-Musiker auch beim Milchkaffeeschlürfen ausstrahlen. Verrückt wären sie wohl geworden, hätten sie jede einzelne Note hinterfragt und zerpflückt, so wie sie das noch in ihren Anfangstagen taten - damals, als sie Beethovens Opus 74 für ihren ersten Wettbewerb einstudierten. Mit dem Ergebnis, daß dieses Stück seitdem "traumatisch belegt sei", wie Lingenfelder sagt. Wer 16 zentrale Quartette der Musikgeschichte en bloc interpretieren will, der muß sich seines Stils, seines Interpretationsansatzes sicher sein. Oder, wie es Andreas Arndt ausdrückt: "Wir machen′s halt so, wie wir′s machen."
Damit kommen wir zu der Frage nach den Charakteristika dieser Aufnahmen. Verallgemeinernd läßt sich dies sagen: Den bestürzend neuen Ansatz, den frappierenden Effekt sucht der Hörer vergebens. Dafür ist der Wille zur Schönheit allgegenwärtig. Auryn′s Beethoven ist spektakulär unspektakulär. Herzlichen Glückwunsch.
Andreas Fasel
<< back
Es ist vollbracht: Das Kölner Auryn-Quartett hat sämtliche Quartette Beethovens eingespielt
"Um Beethoven kommt kein Musiker herum. Und ein Quartett schon gar nicht. Würde jemand eine Gattungsgeschichte des Streichquartetts verfassen, ohne Beethoven zu erwähnen, könnte er genauso gut die Entwicklung der Menschheit beschreiben und dabei den aufrechten Gang, die Entdeckung des Feuers oder die Erfindung des Rades auslassen - oder alles zugleich. Insofern ist es kein Wunder, daß die vier Herren des Auryn-Quartetts beim Gespräch so gut gelaunt in der Küche von Matthias Lingenfelder beieinander sitzen und vor Probenbeginn noch einen Milchkaffee schlürfen. Wer sämtliche Beethoven-Streichquartette eingespielt hat, der hat etwas Elementares geleistet, der darf getrost entspannt sein.
In diesen Tagen ist die vierte und letzte Doppel-CD mit den Beethoven-Aufnahmen des Auryn-Quartetts erschienen. Da läßt sich′s befreit durchatmen. Eine Verpflichtung sei damit eingelöst, ein dringendes Anliegen vorgetragen, ein Herzenswunsch in Erfüllung gegangen - jeder drückt die Bedeutung dieser Aufnahmen ein bißchen anders aus. Froh sind sie alle vier: Die Beethoven-Quartette komplett auf CD einzuspielen - "das mußte jetzt einfach sein", so lapidar sagt es Matthias Lingenfelder, der erste Geiger.
Andererseits ist da natürlich auch die Belastung, der Druck: Wer sich mit diesen Quartetten an die Öffentlichkeit und in die Ewigkeit der Schallarchive wagt, der stellt sich in eine Reihe, in eine Tradition - und mithin auch dem Vergleich: mit dem Amadeus-Quartett, dem Guarneri-Quartett, dem LaSalle-Quartett, dem Melos-Quartett, dem Juilliard-Quartett, dem Alban-Berg-Quartett und so weiter und so fort. Seit es die moderne Aufnahmetechnik gibt, hinterläßt jedes große Ensemble seine Deutung dieser 16 Werke auf Platte. Da kann einem nachrückenden Quartett leicht der Mut schwinden. Wozu sollte man noch eine weitere Interpretation auf den Markt schmeißen? "Früher hätte ich gedacht", sagt Andreas Arndt, der Cellist, "eine Beethoven-Gesamteinspielung zu machen - das ist Quatsch."
Heute denkt er anders. Heute, 28 Jahre nachdem sich Matthias Lingenfelder, Jens Oppermann, Stewart Eaton und Andreas Arndt an der Kölner Musikhochschule zum Quartettspiel zusammengetan haben - heute kommt ihnen dieses Mammut-Projekt wie eine Zwangsläufigkeit vor, wie ein nächster, folgerichtiger Schritt im Leben ihres Ensembles. Im Grunde ist diese Aufnahme der Beethovenschen Streichquartette der letzte noch zu erbringende Nachweis, daß dieses Quartett erwachsen ist. Eine Reifeprüfung nach 23 erfolgreichen Jahren, so etwas gibt es wohl nur in der klassischen Musik. Das Zeugnis stellen jetzt die Kritiker aus.
Klar seien sie nun nervös, sagt Matthias Lingenfelder. Jetzt wo alles getan ist, keine Korrekturen mehr möglich sind und nichts zu tun bleibt, als auf Besprechungen und Verkaufszahlen zu warten. Neun Wochen, verstreut über zwei Jahre, haben die vier Auryn-Musiker mit dem Aufnehmen zu-gebracht. Und das, obwohl Lingenfelder gar nicht gern aufnimmt, weil "ich eigentlich das Publikum brauche", wie er sagt.
Zig-Mal haben sie nur die langsame Einleitung des Schlußsatzes aus Opus 18/6 in die Mikrophone gespielt, bis alle Möglichkeiten durchexerziert waren, wie ‚man diese paar Vorschlagsnoten ausführen kann. Um sich am Ende doch festlegen zu müssen auf eine Version. Oder der langsame Satz aus Opus 95: Andreas Arndt ist nach wie vor der Meinung, daß sie den auf der Aufnahme zu schnell spielen. Wie sollte ein Musiker da nicht nervös werden? Wo doch immer das Bewußtsein mitspielte, "daß das die letzte Möglichkeit war; und daß wir diese Gesamtaufnahme nie wieder machen werden", sagt Matthias Lingenfelder. "Nie wieder" - hat schon einmal jemand so schön ausgedrückt, daß eine Plattenaufnahme immer auch ein Abschiednehmen ist?
Indes - zu viel Pathos wird der Sache wohl auch nicht gerecht. Denn die Wahrheit ist ja, daß ein solches Großprojekt gar nicht zu machen ist ohne jene Ruhe und Gelassenheit, die die Auryn-Musiker auch beim Milchkaffeeschlürfen ausstrahlen. Verrückt wären sie wohl geworden, hätten sie jede einzelne Note hinterfragt und zerpflückt, so wie sie das noch in ihren Anfangstagen taten - damals, als sie Beethovens Opus 74 für ihren ersten Wettbewerb einstudierten. Mit dem Ergebnis, daß dieses Stück seitdem "traumatisch belegt sei", wie Lingenfelder sagt. Wer 16 zentrale Quartette der Musikgeschichte en bloc interpretieren will, der muß sich seines Stils, seines Interpretationsansatzes sicher sein. Oder, wie es Andreas Arndt ausdrückt: "Wir machen′s halt so, wie wir′s machen."
Damit kommen wir zu der Frage nach den Charakteristika dieser Aufnahmen. Verallgemeinernd läßt sich dies sagen: Den bestürzend neuen Ansatz, den frappierenden Effekt sucht der Hörer vergebens. Dafür ist der Wille zur Schönheit allgegenwärtig. Auryn′s Beethoven ist spektakulär unspektakulär. Herzlichen Glückwunsch.
Andreas Fasel
<< back