Mit den in den Jahren 1769/70 komponierten sechs Quartetten op. 9 war Joseph Haydn ein gutes Stück vorangekommen auf seinem Weg hin zur musikalischen Form des „echten" Streichquartetts. Erst gut zehn Jahre später wird er dieses neue Genre dann, was Struktur und Satztechnik anbelangt, in seinem diesbezüglichen Schlüsselwerk, den sechs Quartetten Opus 33, wirklich manifestiert haben. In den Quartetten aus op. 9, die Haydn trotz der noch immer auf dem Divertimento fußenden Gegebenheiten später dennoch „seine ersten Streichquartette" genannt haben soll, stellt sich der Komponist zum ersten Mal die Aufgabe, sechs unterschiedlich konzipierte Werke unter einer einzigen Opusnummer zu bündeln, wobei jedes Werk für sich selbst wie auch als Teil des gesamten Opus zu verstehen sei. Wovon sich Haydn hier allerdings immer noch nicht ganz hat lösen können, ist die starke Bevorzugung der ersten Violine, die sich bisweilen ins ausgesprochen Virtuose steigert.
Doch Matthias Lingenfelder, den Primgeiger des Auryn Quartetts stellen die Herausforderungen vor keinerlei Probleme. Mit staunenswerter Leichtigkeit und Ungezwungenheit und doch hoch konzentriert folgt er den konzertanten Zugkräften in diesen Werken. Mit großem Elan und höchster Sensibilität weiß er dieses virtuose Potential der melodischen Linie und des klanglichen Gestus zu entfalten und in ein konturenreiches Profil einzupassen, ohne aber Struktur und Diktion zu überfrachten. Mit seinen geschmeidigen agogischen Belebungen, einem feinsinnigen Spiel mit artikulatorischen und dynamischen Schattierungen, mit locker eingefügten Ornamentierungen spüren die Vier Ausdruck in der Melodik und im musikalischen Begleitsatz auf, der zu einem neuen Verständnis dieser frühen Werke führen dürfte und deren kompositorische Textur weit über die bisherige Einschätzung hinaus adelt. Immer bleibt der Primat der ersten Geige dabei fein austariert eingebunden in den musikalischen Satz des harmonischen Gerüsts von zweiter Geige, Viola und Violoncello, die über die Stützfunktion hinaus hier bereits hin und wieder auch schon recht substantiell ins musikalische Geschehen eingreifen.
Begeistern kann man sich neben der feinnervigen und brillanten Agilität in den raschen Ecksätzen aber insbesondere an den langsamen Sätzen, in denen das Auryn Quartett immer genau das richtige Maß an Emotion und Ausdruckstiefe einzufangen vermag. Die langsamen Sätze weisen sich in ihrer berührenden Sanglichkeit als das eigentliche Zentrum der Kompositionen aus, klanglicher Feinschliff, Nuancenreichtum, Beseeltheit und atmosphärische Stimmigkeit auch hier. Die Menuette bewahren ihren tänzerischen Charakter, aber im grazilen rhythmischen Federn erscheinen sie wie auf eine höhere und exklusivere Ebene gehoben. Ihren mehrteiligen Duktus versteht das Auryn Quartett in einem höchst lebendigen musikalischen Prozess abzubilden.
Das Auryn Quartett erweist sich hier wieder einmal als der kongeniale Partner für Haydns Gedankenwelt, und dies nicht nur hinsichtlich der fantastischen Deckungsgleichheit von kompositorischem Anspruch und interpretatorischer Dringlichkeit, sondern auch im Hinblick auf die atemberaubende technische Perfektion, mit der musiziert wird. In Kürze wird die Gesamteinspielung der Streichquartette Haydns komplett vorliegen, und, das steht schon jetzt fest, wohl kaum eine andere dürfte ihr das Wasser reichen können.
Thomas Bopp<< back