Gleich beim ersten Durchgang durch das vorliegende Programm mußte ich an Ernst Tochs sarkastisches Aperçu denken, wonach Erich Wolfgang Korngold schon immer für Warner Bros. komponiert habe, sich dessen anfangs aber noch nicht bewußt gewesen sei, und wieder einmal stand ich, bei aller grundlegenden Sympathie, die ich füür den Wunderknaben aus Wien und Hollywood hege – sein Wittgenstein-Klavierkonzert und vor allem seine Symphonie in Fis schätze ich über die Maßen –, vor dem spezifischen Problem, das mir der überwiegende Teil seiner Werke bereitet: Es ist von allem viel zu oft viel zu viel. Tatsächlich kommt mir Erich Wolfgang, der Sohn des gefürchteten Dr. Julius Korngold, wie einer vor, dem man ob seiner immensen Begabung und leichten Hand praktisch alles hat durchgehen lassen und dessen Fertigkeiten daher immer wieder hemmungslos ins Kraut schossen. Beispielsweise in dem hier eingespielten Sextett für Streicher op. 10, bei dessen Entstehung der Jüngling noch keine zwanzig Jahre alt war: Schon das Allegro ist mit größter Lust am Fabulieren, am polyphonischen Zopfmuster, an immer und immer wieder ausweichenden, mithin nasedrehenden Harmonien aufgeschrieben und für die, die’s zu spielen haben, ganz ohne Frage eine rechtes Freude. Nach fünf oder sechs Minuten weiß man allerdings Bescheid, und dann fängt er’s Durchführen überhaupt erst an. Im Adagio spüre ich gewollte Innigkeit, die mit großen Augen nach dem seligen Gustav Mahler hinüberschaut, ohne der Persönlichkeit angesichtig zu werden und in der Ländlerdemontage des Intermezzo das leise Schmunzeln eines Augustins, für den nicht unbedingt alles hin ist – ich erlebe Berg-und-Talfahrten zwischen höchstem Interesse und tiefster Zerstreuung. Mal höre ich die unverkennbaren Vorboten der Symphonie (bis in motivische Wendungen hinein), mal ziehen späte Bühnenversuche wie etwa die Stumme Serenade auf leise, unfromme Weise vorbei. Da mögen die sechs Musiker der camerata freden sich auch noch so delikat und engagiert ins Zeug legen, die architektonischen Bedenklichkeiten lassen sich bei aller Feinarbeit nicht aus der Musikwelt schaffen.
Im Quintett op. 15, das Anfang der zwanziger Jahre entstand, tritt nun ein saftiger, massiver Klaviersatz hinzu, für den mit den entsprechenden Modifikationen das vorige gilt. Gleichwohl macht sich in diesem Stück, das mit einem noch üppiger ausladenden Kopfsatz, einem kaum weniger breiten Adagio und einem „beinahe pathetisch“ zu nehmenden Finale versehen ist, eine eigentümlich ironische Note breit, der man unter Zuhülfenahme der Partitur auf den Grund gehen müßte. Dass Korngold, wie der einleuchtend geschriebene Einführungstext verrät, im Mittelsatz ein Lied seines Opus 14 variiert, ist weniger belangreich als zum Beispiel das hemdsärmlig herausgeschmettert Motiv gegen Ende des Finales, in dem scheinbar „unmotiviert“ Emil Nikolaus von Rezniceks Donna Diana vorbeischaut: „Das Fest ist aus, die Liebe siegt“, heißt es am Schluß der Oper zu derselben Melodie, die durch die Ouvertüre und das Zweite Deutsche Fernsehen weltberühmt wurde. Scherz, Satire, Ironie oder doch tiefere Bedeutung? Jemandem, der später im Sea Hawk den K.O. eines Galeerenwächters mit einem frechen, dezenten „Pling“ markiert, wäre das glatt zuzutrauen.
Rasmus van Rijn<< back