Ein neuer Höhepunkt der "Koroliov Series": Der Hamburger Pianist Evgeni Koroliov interpretiert die drei letzten Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven – die CD führt einen eher stillen und gerade deshalb spektakulären Beethoven vor, neu befragt und ganz ohne Klischees.
Dass Evgeni Koroliov ein Bach-Interpret von höchster, aber völlig unaufgeregter Eleganz und Brillanz ist, einer, der de Kontrapunktik des Thomaskantors auf dem Klavier in klarster struktureller Durchdringung spielen kann, ohne die Seele der Musik auch nur für eine Sekunde aus dem Auge zu verlieren, ist längst nicht mehr nur Kennern bekannt.
Dass der Hamburger Klavierprofessor, der 1949 in Moskau geboren wurde, in einem sehr viel breiteren Repertoire zuhause ist, ist weniger geläufig. Denn Koroliov entzieht sich konsequent jedwedem Rummel um seine Person und macht sich mit seinen Konzerten eher rar, obwohl ihm die großen Konzertpodien rund um den Globus offenstehen. Die Routine des Konzert- und Tourneebetriebs – Gott bewahre. "Die heutige Vermarktung von klassischer Musik würde ich als Künstler nicht überleben. Es entsteht da ein Sog, aus dem man nicht herauskommt. Es bliebe zu wenig Zeit und Kraft, sich weiterzuentwickeln."
Wie gut, dass es da die "Koroliov Series" des verdienstvollen Labels "Tacet" gibt, auf deren CDs Koroliov neben den Großwerken Bachs auch mit Musik von Tschaikowsky, Debussy, Schubert, Prokofieff, Schumann und Chopin zu hören ist. Und eben mit Beethoven. Zuletzt erschienen: seine Aufnahme der letzten drei der 32 Beethoven-Klaviersonaten, op.109, 110 und 111. Formensprengende Werke, die Schlusspunkte in Beethovens Sonatenschaffen für Klavier, das gern auch als der "Neue Testament" der Klavierliteratur bezeichnet wird, um ihm einen einzigartigen Rang neben dem "Alten Testament" – Bachs "Wohltemperiertem Klavier" zuzuschreiben. Mit blitzsauberer und kristallklarer Aufnahmetechnik festgehalten, die Koroliovs Steinway D direkt ins heimische Musikzimmer stellt.
Was ist in diese drei Sonaten schon alles hineingedichtet worden – bis hin zu Beethovens Ringen mit dem Kosmos, einem gigantischen inneren Kampf und einem geläuterten Loslassen des Kämpfers. Man kann sie stürmisch und in noblen Leidenschaften erklingen lassen bis hin zu einer plakativen getrillerten Verklärung. Koroliov spielt sie anders.
Er gibt keine Richtung vor, in der man Beethovens Musik spielen und verstehen sollte. Er begleitet den Komponisten auf seiner Suche, die ja in vielen Brüchen immer wieder in diese Werke eingewoben ist. Fast so, wie Koroliov das auch zu Bachs Musik sagt: "Es geht nicht darum: Ist es melancholisch oder lustig, es hat eine ganz andere Dimension, ein Gefühl von innerer Harmonie, von Trost und – einzigartig, vielleicht klingt das zu hart – von Akzeptanz des Todes. Sie strahlt ein sehr tiefes Vertrauen aus."
Koroliov lässt uns teilhaben an einem vielstimmigen Gespräch
Der Hörer treibt mit dem Pianisten von Gedanken zu Gedanken, nachdenklich, manchmal versponnen. Koroliov lässt uns – und sein Bach ist dafür eine großartige Hörschule – teilhaben an einem vielstimmigen Gespräch, bei dem ihm jede einzelne Äußerung wichtig ist. Wenn er mal dunkle Wolken auftürmt, lässt er bald wieder kleine Sonnenstrahlen durchbrechen, er kostet Harmonien und Melodien aus, lässt sie nachleuchten. Sein Spiel ist zurückhaltend und dabei durchaus packend, wirkt aber nie über donnernde Bässe, übermäßig forcierte Lautstärke oder in den Vordergrund gespielte Virtuosität. Koroliov setzt auf die Kraft der tiefen Durchdringung, die oft genau dann am stärksten zu hören und zu spüren ist, wenn er sehr nach innen gewandt spielt.
So wie im finalen dritten Satz der E-Dur-Sonate op. 109, einem langen, den "Goldberg-Variationen" in ihrer Konsequenz sehr wesensverwandten Variationensatz, für den Beethoven vorschreibt "Gesangvoll, mit innigster Empfindung". Nie lässt sich Koroliov in seinem zu vordergründigen Effekten verführen, sein Spiel quasselt den Zuhörer nicht voll, versucht ihn auch nicht zu überwältigen. Statt dessen pflegt er eine ausdrucksstarke Klangrede, in der ihm oft kleinste Veränderungen im Anschlag oder Tempo genügen, um die Ohren für die Seelentiefe von Beethovens Musik zu öffnen. Und seine Fähigkeit, die Spannung in gespannter Innigkeit über lange Bögen aufrecht zu erhalten.
So wie im dritten Satz, dem Adagio der As-Dur-Sonate op. 110, die die aus einem fast rezitativischen Adagio unvermittelt in eine große Fuge mündet. In der man deutlich die Vertrautheit mit den kompositorischen Ideen Bachs spürt. Mit denen war Beethoven – wie Jahre zuvor schon Mozart – bei den musikalischen Soireen des Barons van Swieten immer wieder in Berührung gekommen und sie hatten größten Eindruck auf ihn gemacht, der gut in seinem respektvollen Bonmot "Nicht Bach, Meer sollte er heißen" zum Ausdruck kommt.
Beethovens c-Moll-Sonate op. 111 ist in der Interpretation Koroliovs eine aufwühlende Seelenwanderung durch steinige Berge, düstere Wege durch ungestümes Aufbegehren im ersten der beiden Sätze „Maestoso – Allegro con brio ed appassionato“ bis hin zum beruhigtem Loslassen in einer überirdisch leuchtenden Gewissheit. Koroliovs Spiel stilisiert Beethoven indes nicht zum Titanen, sondern begleitet über sein verständnisvolles Hineinhören einen zerrissenen Menschen durch dessen Lebenskonflikte, bis der am Ende der Arietta im tönenden Ausdruck des Unsagbaren seinen Frieden gefunden hat.
Hans-Juergen Fink<< back