Mieczyslaw Weinbergs Musik hat nicht zuletzt dank des sensationellen Erfolges der Aufführung seiner Oper Die Passagierin bei den Bregenzer Festspielen 2010 in den vergangenen Jahren weltweite Resonanz gefunden. Bedauerlich jedoch ist, dass manche Kreise es immer wieder für nötig erachten, das Schicksal des Komponisten (jüdischer Flüchtling vor den Nazis, Verhaftung unter Stalin) in den Vordergrund zu stellen bzw. ihn als Opfer des Sowjetregimes und verkanntes Genie zu präsentieren. Schicksalsschläge, Diskriminierung und Verfolgung machen aus einem unbegabten keinen begabten Komponisten und vice versa. Halten wir uns daher an die Fakten: Weinberg war spätestens ab den Sechziger Jahren in der Sowjetunion ein anerkannter und (übrigens von den bedeutendsten Interpreten des Landes!) viel gespielter Komponist, geschätzter Pianist und Kammermusikpartner, der von seiner Musik gut leben konnte. Mancher Komponist hierzulande könnte sich heute glücklich schätzen, zu Lebzeiten so oft und in so herausragender Qualität aufgeführt worden zu sein wie Weinberg seinerzeit.
Wenn auf der Hompepage eines seiner Verleger nun zu lesen ist, dass er der „bedeutendste und eigenständigste“ Schüler Schostakowitschs gewesen sei, so ist dies schlichtweg vermessen: Zum einen war er nie offiziell Schüler Schostakowitschs, zum anderen wären in diesem Zusammenhang eher Komponisten wie Kara Karajew oder Boris Tischtschenko aufzuführen. Interessanterweise ist es eben jener Verleger, der sich zu Lebzeiten Weinbergs ganz gewiss kein Bein für ihn ausgerissen hat. Das berühmte Fähnchen im Winde… Ohne Zweifel, Weinberg war ein fruchtbarer, guter, zuweilen auch herausragender Komponist, jedoch finden wir unter seinen (zahlreichen) Werken durchaus auch Mittelmäßiges, Routiniertes. Ihn jedoch wegen seiner persönlichen Freundschaft zu Schostakowitsch grundweg als Epigonen abzutun, täte Weinberg unrecht. Sicher, vieles gemahnt stilistisch klar an sein Vorbild, aber die Einflüsse sind in seinem Falle vielfältiger. Wir finden in seinem Schaffen von der jüdischen Folklore Inspiriertes ebenso wie (insbesondere im Spätwerk) sehr individuelle Lösungen.
Auf der vorliegenden CD ist fast die komplette Flötenmusik des Komponisten eingespielt: Seine zwei Flötenkonzerte, die 12 Miniaturen op. 29bis in der Fassung für Flöte und Streichorchester sowie das wunderbare Trio op. 127 für Flöte, Viola und Harfe. In Weinbergs Schaffen nehmen die Konzert- und Kammermusikwerke für Streichinstrumente einen ungleich größeren Raum ein. Dies mag darin begründet sein, dass die Holzblasinstrumente zu Sowjetzeiten nie eine wirkliche Domäne der Hochschulausbildung waren. Weinbergs beiden Flötenkonzerte sind dem herausragendsten sowjetischen Flötisten Alexander Kornejew (1930-2010) gewidmet.
Die Besetzungsangaben auf der CD sind etwas irreführend: beide Konzerte firmieren unter „Flöte und Orchester“. Dies impliziert im landläufigen Sprachgebrauch eher ein Symphonieorchester. Das Erste Konzert aus dem Jahr 1961 jedoch ist lediglich für Flöte und Streichorchester besetzt; das mehr als ein Vierteljahrhundert später entstandene Zweite Konzert existiert tatsächlich in zwei Fassungen: einer mit Symphonieorchester und einer mit Streichorchester, wobei in dieser Aufnahme die größer besetzte Partitur zu hören ist. Beide Konzerte könnten unterschiedlicher nicht sein: Das Erste Konzert (von Haltung und Dimension eher ein Concertino) öffnet mit einem musikantischen, vitalen Allegro, gefolgt von einem atmosphärisch dichten Largo. Der geheimnisvoll-heitere Schlusssatz mag der individuellste des Triptychons sein. Weinbergs Zweites Flötenkonzert von 1987 wirkt insgesamt enigmatischer und spröder, in seiner anfänglichen Motorik zuweilen auch floskelhaft, spielt hie und da unvermittelt mit Zitaten (etwa aus Johann Sebastian Bachs „Badinierie“). Zwischen beiden Konzerten ist die vom Komponisten selbst orchestrierte Fassung seiner „Zwölf Miniaturen für Flöte und Klavier“ op. 29bis für Flöte und Streichorchester zu hören, charmante, leichte Musik von bezauberndem Flair.
Das für mich bei Weitem eindrucksvollste Werk der CD ist das Trio für Flöte, Viola und Harfe op. 127 aus dem Jahr 1979. Hier findet Weinberg zu einer wirklich individuellen Musiksprache: unprätentiöse, in sich gekehrte lyrische Musik von fast philosophischem Tiefgang, frei von jeglicher leeren Geschwätzigkeit, die mit ihren klaren, auf das Wesentliche reduzierten Linien und ihrem herben Ausdruck im Gedächtnis bleibt.
Und damit zu den fabelhaften Interpreten der CD: Antonina Styczen als vorzügliche, in allen Belangen ideal zu nennende Solistin sowie die Polnische Kammerphilharmonie Sopot unter Leitung von Wojciech Rajski. Auch der Klang der Einspielung ist ausgezeichnet. Eine definitiv empfehlenswerte CD für Freunde zeitgenössischer Flötenmusik.
Heinz Braun<< back