Echter „Surround“, also ein umschließender Raumklang, entwickelt sich, wenn –wie auf dem hinteren CD-Cover zu sehen – die Musiker des Netherlands Chamber Orchestra bei der Aufnahme im Kreis sitzen. Dass das nicht nur ein Gag ist, hört man: Hervorragende Transparenz, Durchhörbarkeit des Gesamtklangs mit gleichzeitiger instrumentaler Auffächerung des Orchesterklangs, äußerst ausgewogene Balance zwischen Streichern und Bläsern und die organische Einbettung der Pauke sind das Ergebnis. „Einbettung“ stimmt hier fast wörtlich: Beinahe nie hört man die Pauke so bettenweich, so variabel im „Anschlag“ (so würde man beim Pianisten sagen), also im Aufschlag und so die Interpretation unterstützend.
Um die kritische Frage gleich vorwegzunehmen: Warum kommt die Jupiter-Symphonie, Mozarts Schlusswort in Sachen Symphonie und Krönung der Trias der letzten drei Symphonien, am Anfang und der Anfang der Trias, also die Es-Dur-Symphonie, am Ende? Schlüssig ist das nicht.
Ein philosophisches Spiel
Schlüssig aber ist das Spiel der Musiker, die vom mitspielenden Geiger Gordan Nikolić geleitet werden. Gerade die Violinen erfüllen das Problem mit Leben, das der Musikwissenschaftler und Dirigent Peter Gülke über den Beginn der Es-Dur-Symphonie geschrieben hat („Triumph der neuen Tonkunst. Mozart späte Symphonien und ihr Umfeld“): „Zur Paradoxie eines jeden Anfangs gehört, dass er, zwischen Abwesenheit und Anwesenheit des Gegenstandes schwebend, das Gewicht der Sache reflektieren muss, die da anfängt, nicht aber schon die Sache selbst.“ Anders gesagt: Fange ich an oder fange ich etwas an? Wenn ich anfange, fange ich immer gleichzeitig etwas an. Da „bieten sich Vorahnungen, Anspielungen und andere Formen des musikalischen Noch-Nicht an“, fährt Gülke fort. Das bieten exemplarisch die suchenden und irrenden Violinen gleich nach dem pathetischen vollen Es-Dur-Klang, die in einem geschärften Septakkord kulminieren: Der Anfang als Anfang von allem. Fast wie ein Weltenbeginn. Und beginnt der Weltenanfang in Wagners Rheingold nicht auch mit einem tiefen Ur-Es-Dur-Gewoge?
Natürlich fließende Tempi
Zu solchen philosophischen Fragen fühlt man sich gedrängt, wenn man die liebevoll genaue, mit Fragen und Bedeutungen gefüllte Spielweise des Orchesters hört. Die gewählten Tempi sind moderat schwingend, natürlich fließend, nie herrscht eine übertreibungssüchtige und überraschungsheischende Überdramatisierung. Sehr kantabel und dabei mit leichtem Vibrato binnenbelebt erklingt das Seitenthema des Kopfsatzes der Es-Dur-Symphonie, eben als deutlicher Kontrast zur erhabenen Blockhaftigkeit des Hauptthemas.
Und wieder der suchende Beginn im zweiten Satz und daran anschließend ein genüsslich ausgekostetes Frage- und Antwort-Spiel, alles dargebracht mit Freude und darein gemischt etwas wie keusche Scheu: die Annäherung an das Geheimnis der Musik. Die Musiker machen sich auf die Suche nach diesem Geheimnis in dem Bewusstsein, es zu verlieren, wenn sie es zu finden glaubten.
Luzide Transparenz
Breit strömt und singt das Andante in der Jupiter-Symphonie, dabei durchaus gestisch belebt, die Sforzati kommen nicht als Hammerschlag, eher wie quellende Ausbrüche. Luzide Transparenz herrscht dann im Finalsatz der Jupiter-Symphonie, man hört jede kleine strukturgebende Figur der Flöte, der Energiepool wird immer wieder aufgefüllt, so dass die C-Dur-Freude endlos erscheint.
Rainer W. Janka<< back