Um von Wizlaw von Rügen schon einmal etwas gehört zu haben, reicht es wohl nicht, ein allgemein ausgebildeter Musikwissenschaftler zu sein, sondern man sollte mindestens einen Schwerpunkt in musikalischer Mediävistik haben. Der Sangspruchdichter und Minnesänger wurde wahrscheinlich um 1265 geboren und starb 1325 in Barth bei Stralsund. Es ist aufgrund der lückenhaften Quellenlage nicht einmal gesichert, ob der Autor der Lieder und Sprüche, die dieser Person zugeschrieben werden, mit Wizlaw III., Fürst von Rügen, wirklich identisch ist.
Alle diese Gelehrsamkeit braucht man aber nicht, um dieses Album, das sämtliche Lieder und Sprüche Wizlaws erhält, genießen zu können; es empfiehlt sich nur, die Texte und ihre hochdeutschen Übersetzungen mitzulesen. Denn die insgesamt 22 Stücke leben allesamt durch den musikalisch anheimelnden Vortrag der Lyrik mit all ihren Liebesklagen, ihren Naturreflexionen, Rätseln und moralisch-religiösen Schlussfolgerungen, wobei das Besondere ist, dass die Melodien tatsächlich von Wizlaw stammen.
Die drei Sänger des in Basel angesiedelten Ensembles Peregrina, unter ihnen die Ensembleleiterin Agnieszka Budzinska-Bennett, intonieren die Melodien alle mit großer Natürlichkeit, wobei zu fragen wäre, ob es nicht zumindest denkbar ist, dass manche geradezu dramatische inhaltliche Entwicklungen wie die im Lied vom kuninghe Nabughodonosor (dem auch in späteren Bearbeitungen berühmt gewordenen König Nebukadnezar, Tr. 4) einst durchaus auch etwas reißerischer gestaltet wurden. Begleitet werden die Melodien von allerlei mittelalterlichen Saiteninstrumenten, Fidel, Harfe und Lauten, und es ist, wenn man sich als moderner Hörer erst einmal auf die reduzierte Klanglichkeit eingestellt, für sie sensibilisiert hat, geradezu aufregend, wenn sich mehrstimmige Entwicklungen ergeben wie etwa in Ein wechter von der zinne (Ein Wächter rief von der Zinne, Tr. 12) oder Der herbest kumpt (Der Herbst kommt, Tr. 20). Apart sind auch die geradezu modernen Effekte, welche etwa in Uvol dan her meyie (Ja, Herr Mai, Tr. 5) auf der mittelalterlichen Traverse-Flöte produziert werden. Am Ende des Programmes erlebt man in Uvol vph ir stolzen helde (Wohlan, ihr stolzen Helden, Tr. 21) sogar eine mitreißende rhythmische Auflockerung.
Die Produktion ist, wie schon die ersten Folgen dieser Reihe „Mare Balticum“, mit dem höchst informierten Text von Meinolf Schumacher und den übersetzten Lied-Texten sehr gut ausgestattet. Hilfreich wäre es aber gewesen, nähere Informationen, nicht zuletzt deutsche Übersetzungen, für die hier nur auf englisch aufgelisteten Instrumente zu bekommen, da ja das damalige Instrumentarium nicht standardisiert war und daher etwa die „gitterns“ nicht so ohne Weiteres zu identifizieren sind.
Dr. Michael B. Weiß<< back