Der Pianist Christoph Ullrich spielt seit 2011 sämtliche Scarlatti-Sonaten ein, wobei er sich nach der Zählung von Ralph Kirkpatrick richtet. Mit Volume 9 ist er mit jeweils 30 Titeln bei etwa zwei Dritteln der insgesamt 555 Stücke angekommen. Da er einen modernen Steinway-D-Flügel nutzt, sind die Aufnahmen nach heutigem Maßstab zu beurteilen.
Christoph Ullrichs künstlerische EinstellungUllrich spielt mit feinen Fingern, wählt meist flotte, aber nie überzogene Tempi, so dass die Faktur der einsätzigen Sonaten klar durchschaubar bleibt. Die Lautstärke bewegt sich in verhältnismäßig engem Rahmen, so dass die bei Scarlatti oft intendierten Echo-Wirkungen nur dezent angedeutet werden. Technische Tücken, wie Repetitionen, Sprünge und Triller, werden souverän genommen. Die häufig vorkommenden Imitationen zwischen rechter und linker Hand werden pointiert ausgeführt. Die zumeist mit „Allegro“ bezeichneten Stücke erhalten eine frische, zupackende Note, die wenigen „Andante“- Nummern sind mit sensiblem Ausdruck gestaltet.
Die Anwendung von VerzierungenEin gutes Beispiel für die Bandbreite der Empfindung ist gleich die erste der gespielten Sonaten K. 296 in F-Dur: mit einer Dauer von über 10 Minuten fällt das bemerkenswerte Stück aus dem Rahmen der meist nur 3 bis 4 Minuten dauernden Nummern. Bei den Wiederholungen der jeweils zwei Teile macht Christoph Ullrich Gebrauch von der in der Barockzeit üblichen Praxis, Verzierungen anzuwenden. Dies geschieht mit Geschmack und ohne Übertreibung, so dass Scarlattis Einfälle vorsichtig, aber einfallsreich variiert werden.
Nachteile und Vorteile der ZählungenDa die Sonaten bei der Kirkpatrick-Zählung nicht nach Spannungs- und Abwechslungsprinzipien geordnet sind, kommt es öfters vor, dass ähnlich geartete Stücke hintereinander erklingen. Dies mag für manche besonders aufmerksamen Hörerinnen und Hörer ein Nachteil sein, doch kann man dem durch gezielte Auswahl der zusätzlich durch die Zählung nach Alessandro Longo bezeichneten Sonaten steuern, die bei dem Italiener teilweise nach Suiten geordnet sind. Zudem geben die jeweils erwähnten Tempovorschriften Hinweise zum Einzelcharakter.
Bonus-Tracks mit dem Flötisten Jens JosefEine willkommene Ergänzung finden die 30 Sonaten durch drei Stücke von Jens Josef, dem deutschen Komponisten und Flötisten. Eine als „Esserciz“ bezeichnete, von Christoph Ullrich brillant gespielte Komposition transferiert den Scarlatti-Stil in die Moderne. Und mit „Dem Josef sein Scarlatti…“ trillert der Flötist gekonnt zu pianistischen Klängen des historischen Vorbilds. Auch das Duo Scarlatti II für Flöte und Klavier spricht für skurrilen Humor und Einfühlungsvermögen.
Das Booklet beschäftigt sich eingehend mit dem Verzierungsproblem, das für die Barockmusik insgesamt gilt und für das sich bei Scarlattis Zeitgenossen Johann Sebastian Bach und seinem Sohn Carl Philipp Emanuel besonders markante Beispiele finden.
Klaus Trapp<< zurück