Der aus Göttingen stammende, von Kapazitäten wie Leonard Hokanson, Claude Frank und Rudolf Buchbinder betreute und sicher auch geprägte Pianist Christoph Ullrich plädiert für die Werke Johann Sebastian Bachs in einer spontan ansprechenden Mischung aus praktischer Gediegenheit und einer wie aus dem Verborgenen – dem gleichsam geschützt Privaten – kommenden Innerlichkeit. Alles Gewusste, alles Gelernte wirkt in Ullrichs Erweckung der Französischen Suiten geläutert und jeglichem pianistischen Imponiergehabe entrückt. Er umkreist, betastet im doppelten Sinn des Wortes die Bachschen Klaviergebilde – durchaus in Person eines schauenden, fühlenden, ja immer wieder staunenden Wiedergeburtshelfers, den diese Musik schon früh in Schwingung versetzte. Ullrich im Begleittext: „Die Wurzeln meiner tiefen Verehrung und Freundschaft zu Bach liegen unter der bunten heilen Welt meiner Kindheit verborgen."
Zum Glück für den Hörer dieser, von der Fertigung her tadellosen EigenArt-Edition, bleibt im Verlauf von Ullrichs Tanzerkundungen nicht verheimlicht, was er an Wärme, Perspektivreichtum und konstruktiven Elementen entdeckt hat. Während viele Interpreten diese weitgehend tänzerisch pointierten Stücke in der instrumentalen Ich-Form erzählen – energisch, brillant, herausfordernd –, gestattet Ullrich sich die Freiheit, Bachs gehobenste Unterhaltungsmusik über weite Strecken andeutend zu deuten. Er sichert den bedächtigen und den raschen Passagen eine Aura der bewegten Friedfertigkeit, er nimmt sich – wie mir scheint – als Bach-Enthüller vornehm zurück und bindet den Hörer paradoxerweise gerade dadurch eng an die Musik und an sein persönliches Erleben.
In Kenntnis etwa von Glenn Goulds sezierender Suiten-Pathologie, von András Schiffs launiger, entwaffnend offener Bach-Gesprächigkeit oder Emil Gilels' – im Rahmen der G-Dur-Suite (BWV 816) – zärtlicher, sinnlicher Tongebung erweist sich Ullrichs Bach „à la francaise" als Möglichkeit, enge Werkbeziehung auch ohne vordergründige Auffälligkeit bestätigen zu können. Wenn man will: die indirekte, vorsichtige Beleuchtung eines Gegenstandes kann unter Umständen zu klarer, glaubhafter Wahrnehmung führen ...
Aus Gründen der für eine CD zur Verfügung stehenden Spieldauer musste Ullrich auf Vollständigkeit der Werkreihe BWV 812 bis BWV 817 verzichten. Man mag dies bedauern und im selben Moment an die Repertoire-Möglichkeiten eines Doppelpacks denken. Wünschenswert also wäre es, dass die erste Suite nachgereicht wird, genügend „Beiwerk" dürfte ja in den Kindheitserinnerungen des Interpreten „verborgen" liegen.
Peter Cossé<< back