Den Klang der Zukunft meistern
nmz-Serie Musikunternehmer: Andreas Spreer und sein Label tacet
nmz Ausgabe 09/2000
Seit Jahren behauptet sich eine Handvoll kleiner Tonträgerhersteller
für klassische Musik im Schatten der Major Companies. Wichtig
fürs Überleben der “Kleinen” in diversen Marktnischen war stets ihr
editorisches Profil. Die Stuttgarter Musikproduktion tacet kann als
Beispiel für so ein Label dienen. Der Name tacet steht für liebevoll
edierte, hochwertige Aufnahmen mit einigen wenigen, profilierten
Künstlern. Inhaber des Labels ist Andreas Spreer, bis 1989
Tonmeister bei Intercord in Stuttgart. Nach elf Jahren Arbeit in
Eigenregie kann er heute ungefähr 120 CDs und 3 LPs im Katalog
vorweisen. Zahlenmäßig ist das nicht viel. Jedoch können Spreer
und sein fest angestellter Mitarbeiter, der Toningenieur Roland
Kistner, davon leben; und es bleibt noch so viel übrig, dass einiges
in Neuproduktionen sowie in den Einstieg in die
Audio-DVD-Technologie investiert werden kann.
In den Anfangsjahren wurde Spreers Firma in erster Linie von
Techniknarren, deren Hobby teure Stereoanlagen sind,
wahrgenommen. Seine Aufnahmen galten als Synomym für
“unbearbeiteten” akustischen Klang. Durch den kontinuierlichen
Aufbau eines Künstlerstammes rückte das Label immer mehr ins
Blick- und Hörfeld des Klassikkenners, der weniger an Anlagen als an
hochwertiger Interpretation interessiert ist. Im Katalog der Plattenfirma
finden sich Namen wie das Abegg-Trio, das Auryn-Quartett, das
Stuttgarter Kammerorchester, Evgeni Koriolov, Hartmut Lindemann,
das Gaede-Trio und Florin Paul. Im Schnitt veröffentlicht tacet nur
etwa zehn CDs pro Jahr. Doch für Spreer kommt Qualität vor
Quantität. Bis auf zwei, drei Ausnahmen sind alle je von ihm
produzierten CDs lieferbar. Dazu gehören natürlich auch echte “Cash
Cows”. “Am besten läuft zur Zeit Koroliovs Einspielung der ‘Kunst
der Fuge’, die Aufnahme des zweiten Bandes kommt Anfang 2001.”
Ein Verkaufsschlager aus dem audiophilen Technikbereich ist eine
Aufnahme mit dem Stuttgarter Kammerorchester: “Die Röhre - The
Tube”. Spreer zeichnete unterhaltsame Werke von Boccherini, Corelli,
Vivaldi, Scarlatti und Biber ausschließlich mit Röhrenmikrofonen,
Röhrentonband und Röhrenmischpult auf. Allein in Hongkong, so
Spreer, habe er im ersten Halbjahr 4.000 Stück dieser CD verkauft.
Bei der Idee zur Gründung des tacet-Sublabels “Eigenart” standen der
“Filmverlag der Autoren” und das Jazz-Label “Mood Records” Pate:
Bei Eigenart produzieren die Künstler selber und behalten die Rechte
an der Aufnahme. Spreer tritt hier als Dienstleister auf und liefert
hochwertige Aufnahmequalität sowie den weltweiten Vertrieb. Für
“Eigenart” spricht auch, dass ein Ensemble heute ohne Promotion-CD
von keinem Kulturamtsreferenten gebucht wird.
Gelegenheit macht Produzenten, könnte man zur Zusammenarbeit von
Spreer und dem Abegg-Trio sagen. Bereits bei Intercord nahm er die
Platten des Klaviertrios mit Gerrit Zitterbart, Klavier, Ulrich Beetz,
Violine, und Birgit Erichson, Cello, auf. EMI kaufte Intercord, der
gesamte Abegg-Katalog ging somit zu EMI, die die Sache
weiterführte. Doch das Trio fühlte sich bei der neuen Firma als “zweite
Wahl”, wie der Geiger Ulrich Beetz das ausdrückt. In einem langen
Telefonat zwischen Zitterbart und Spreer kam beiden die Idee, die
Rechte zurückzukaufen und dann als Gesamtedition, bestehend aus
Wiederveröffentlichungen und Neuproduktionen, bei tacet
herauszubringen.
Ökonomischer Erfolg ist für ihn nur möglich durch ein
unternehmerisches Prinzip, das auch die Großen immer häufiger
anwenden, nämlich Outsourcing. “Ich sitze wie eine Spinne im Netz”,
so definiert Spreer seine Unternehmensstruktur. “Die Spezialisten für
Computer, für Grafik, Texte, EDV, Buchführung, Vertrieb, die
Presswerke, die Übersetzer, ich dirigiere alle von hier aus.” Weil er
sich nicht durch Lohnkosten bindet, bleibt Spreer “fit für den
Wettbewerb”.
Nach der Bedeutung der neuen Medien gefragt, antwortet der
Stuttgarter Tonmeister, dass für seine Firma CD-Piraten und
Schwarzbrenner keine Gefahr sind, dazu sind seine Stückzahlen noch
zu niedrig. Interessanterals das Internet sei für ihn die Einführung der
Digital Video Disc (DVD). Spreer will die große Speicherkapazität
des neuen Mediums benutzen, um Surroundklang im neuen
DVD-Audio-Standard zu produzieren. Unglücklicherweise besitzt
diesen Standard noch keines der etwa zwei Millionen Geräte in
deutschen Haushalten. Das ist erst bei der kommenden
Gerätegeneration der Fall. “Das, was ich mit der DVD mache, ist ein
Risiko. Aber ich will es tun, weil ich die Möglichkeiten für gigantisch
halte. Wir Tonmeister setzen dann deutlichere Akzente und werden
aufgewertet. Der Klang ist in Zukunft wichtiger, man wird auch
deutlicher erkennen, wessen Sound zu hören ist. Das kann uns
Tonmeistern nur recht sein, weil wir nach wie vor in der
Urheberrechtskette als Berechtigte nicht wahrgenommen werden.”
Andreas Kolb